„Sie können Bücher verbieten oder irgendwelche Bands, aber wenn es keinen Schnaps oder keine Zigaretten geben würde, bräche hier ganz schnell die Revolution aus.!“ S.38
Mit Jakob Heins neuem Roman betreten wir ein kurios geschliffenes Diorama der späten DDR, das sich irgendwo zwischen Satire, historischer Revue und subversivem Ideenspiel bewegt. Schon die ersten Seiten lassen keinen Zweifel: Wir sind angekommen in jener Republik, die sich mehr nach außen inszenierte als nach innen funktionierte – eine Diktatur im Design einer Mietskasernen-Idylle, die für harte Valuta notfalls jede Ideologie über Bord warf.
Grischa Tannberg, frisch gebackener Jungaktivist mit Bonbon am Revers, zieht aus dem provinziellen Gera ins verheißene Berlin. Dort erwarten ihn Neubaubeton und der Stillstand der Planwirtschaft, vertreten durch die Staatliche Planungskommission – liebevoll kurz „PlaKo“, so charmant kafkaesk wie ihr Name. Seine neue Tätigkeit besteht, wie es sich im Sozialismus gehörte, primär aus dem geduldigen Warten auf die Uhr. Doch Grischa nimmt das „Aktiv“ in Jungaktivist ernst und stolpert mit beflissener Naivität in eine Idee, die gleichzeitig irrsinnig und verblüffend genial ist: Cannabis für den Weltfrieden – oder zumindest für die Westberliner Jugend. Ein Pilotprojekt im Niemandsland der ideologischen Grenze.
Hein jongliert mit der Sprache der Epoche wie ein Altmeister: sozialistisch gestelzt, dabei herrlich pointiert. Seine Figuren – ob der schwitzende Vorgesetzte Ralfe oder die straffe Stasimitarbeiterin Monika Siebert, die Breschnews Schwester sein könnte – sind derart treffend karikiert, dass es wehtut, weil es so wahr ist. Der Realsozialismus wird nicht dämonisiert, sondern entlarvt – mit einem Lächeln, das einem im Hals steckenbleibt.
Die Prämisse – medizinisches Marihuana als Handelsgut mit Afghanistan – könnte auch aus einer Stasi-Kabarettprobe stammen, funktioniert aber erschreckend gut. Hein treibt seine Handlung durch die parallelen Bürokratielabyrinthe von Ost und West, wobei besonders köstlich jene Momente sind, in denen echte Namen historischer Funktionäre auftauchen: Das erhöht den Wahnsinnsrealismus der Story beträchtlich. Mielke darf selbstverständlich das letzte Wort behalten.
Dass in einem Land wie der DDR eine legale Handlung nur dann als legal galt, wenn sie dem Nutzen des Apparats diente, macht Heins ironische Wendung besonders treffend: Wenn Dope der Jugend dient, warum nicht? Am besten erstmal drüben testen. Der Sozialismus als Dealer mit Welterlösungsfantasie – das ist in seiner Groteske fast poetisch.
Am Ende bleibt eine bittere Wahrheit unter dem bunten Mantel der Komödie: Die DDR war ein System, das mit sozialistischer Fassade seine moralische Bankrotterklärung täglich erneuerte – bereit, für harte Devisen alles zu verkaufen, auch sich selbst. Jakob Hein gelingt mit „Grischa“ ein herrlich überdrehter, dabei erschreckend präziser Blick auf ein Land, das nie funktionierte, aber stets so tat, als wäre es Weltspitze.
Ein Buch für Kenner der DDR, für Freunde der gepflegten Satire und für alle, die noch lachen können, obwohl ihnen eigentlich die Worte fehlen sollten.
[…] „Dieser Band ist keine späte Gedenkplatte, sondern ein Monsterbrillant aus dem Tiefsee‐Schatz der deutschsprachigen Literatur: 15 Geschichten, die zeigen,…