„Wunderliche Seele! So nah befreundet und doch so fremd.“ Seite 82
Was für eine erfreuliche Wiederbegegnung mit Kerstin Holzer.
Sie nimmt uns erneut mit zu den Mann’s.
Nur dieses Mal geht es nicht nach Capri („Monascella“) sondern auf eine sommerliche Reise an den Tegernsee in „Thomas Mann macht Urlaub“.
– und zugleich mitten hinein in die feinverästelten Innerlichkeiten einer der berühmtesten deutschen Familien.
Ich kann auch Bandwurmsätze!
Die Sprache der Autorin: wie aus dem Repertoire gehobener Konversation, leicht angestaubt im besten Sinne, feinsinnig lächelnd, gelegentlich sogar clownesk – eine Conférencière, die sich ihrer Rolle als Erzählerin wohl bewusst ist.
Doch Holzer ist nicht nur stilistisch eine Virtuosin. Sie beobachtet mit geschärftem Blick, führt uns souverän durch Zeitzeugenberichte, beschreibt Fotografien und lässt Zitate so beiläufig einfließen, als flüsterten sie aus vergangenen Tagen direkt ins Ohr. Entstanden ist ein lebendiges Porträt – nicht nur eines Künstlers, sondern einer ganzen Welt, die zwischen Ruhesuche und Repräsentation, zwischen innerer Zerrissenheit und äußerer Fassade oszilliert.
Wir begegnen Thomas Mann nicht als Denkmal, sondern als Mensch – verletzlich, eitel, kontrolliert, von kreativen Dämonen getrieben. Noch steht Der Zauberberg unausgeschrieben in den kühlen Höhen des Geistes, während Mann sich der niederschwelligeren Erzählung Herr und Hund widmet. Mit leichter Hand skizziert Holzer dabei das Spannungsfeld zwischen dem ruhebedürftigen, beinahe „verpimperten“ Familienvater und dem disziplinierten, fast entkörperlichten Schöpfergeist.
Von besonderem Reiz sind die Passagen, in denen sich die Autorin Manns Beziehung zum Eros nähert – tastend, doch unerschrocken. Die sublimierte Sehnsucht nach jungen Männern, das ungesagte Verlangen, das durch kalte Duschen und geistige Askese gezähmt wird, finden in der Literatur ihre Heimstatt. „Die geheimen und fast lautlosen Abenteuer des Lebens“ – ein Satz, der wie ein Schlüssel zum Innersten dieses Autors wirkt.
Und doch: die Ehe mit Katia, alles andere als ein Arrangement. Holzer zeichnet sie als kluge, unkonventionelle Partnerin, die das Abgründige im Charakter ihres Mannes als notwendig für das Genie erkennt. Seelenqual als kreative Stimulanz, so lautet das Credo dieser Verbindung, das bei allem Pathos stets glaubhaft bleibt.
Auch die Kinder der Familie Mann bekommen Raum, werden liebevoll, aber nicht beschönigend charakterisiert. Sie sind nicht nur Beiwerk der berühmten Eltern, sondern Akteure mit eigenen Konflikten – und eigenen Rollen im Familienspiel.
Nicht zuletzt ist das Buch auch eine Hommage an einen ganz besonderen Ort: das Tegernseer Tal, wo die Sommerfrische zur geistigen Bühne wird. Hier promenieren Künstler und Denker, von Brecht bis Ludwig Thoma, man raucht, man diskutiert, man leidet gepflegt. Und der Leser leidet gern mit – auf diesem wehmütig-heiteren Spaziergang durch eine versunkene Welt.
So ist „Thomas Mann macht Urlaub“ kein weiteres Kapitel im Kanon der Mann-Biografien, sondern ein kleines, elegantes Zwischenspiel – federleicht geschrieben, geistreich beobachtet, und mit jener leisen Ironie gewürzt, die Kenner ebenso erfreut wie Einsteiger.
Oder, um es mit Thomas Mann zu sagen:
„Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen.“
Ein Satz wie ein Leitmotiv – für das Leben, für die Literatur, für dieses Buch.