„Schwiegermutter“ von Moa Herngren

„Jetzt wusste ich, wie es sich anfühlt, zu ertrinken.“ Seite 152

Moa Herngrens Roman Schwiegermutter ist ein Kammerspiel auf offener Bühne – ein psychologisches Drama, das seine Leser:innen mit voller Wucht trifft. Was als Familiengeschichte beginnt, entpuppt sich als hochkomplexes Geflecht aus Liebe, Abhängigkeit, Schuld und der verzweifelten Suche nach Anerkennung.

Im Zentrum: Åsa, Mutter eines erwachsenen Sohnes, Andreas, und inzwischen Großmutter. Doch der Kontakt ist abgebrochen – nicht schleichend, sondern abrupt und endgültig. Es gibt eine Abmachung: Sie soll ihn in Ruhe lassen. Eine Forderung, die klingt wie ein Urteil. Sie ist blockiert, ausgeschlossen, verbannt. Und sie versteht nicht, wie es so weit kommen konnte.

Herngren gewährt uns den Blick in die Innenwelt einer Frau, die es „doch nur gut meint“. Die aufrichtig glaubt, dass ihre Liebe richtig sei – und daran scheitert. Åsa ist eine Figur von schmerzhafter Authentizität: Als alleinerziehende Mutter hat sie sich ganz ihrem Sohn verschrieben. Unter dem Deckmantel des Beschützens isoliert sie ihn vom Vater, kreist obsessiv um ihn, vereinnahmt ihn – nicht aus böser Absicht, sondern aus tiefem Bedürfnis nach Bindung. Doch Fürsorge kippt in Kontrolle, Nähe wird zur Erstickung.

Mit der neuen Frau an seiner Seite gelingt es Andreas, sich zu befreien – ein Befreiungsschlag, der zugleich eine Exkommunikation bedeutet. Was bleibt, ist eine Mutter, die am Rand steht, frierend im Wintersee schwimmt, fast als Selbstbestrafung. Sie will sich spüren – und doch bleibt sie in ihren Mustern gefangen: rachsüchtig, kleinlich, voller Selbstmitleid, gefangen in einer Opferrolle, die anderen ein schlechtes Gewissen aufzwingen soll.

Der Roman wechselt die Perspektiven – ein kluger Kunstgriff, der deutlich macht: Hier trägt niemand eine weiße Weste. Jeder hat seine Wahrheit. Die Schwiegertochter, die sich emotional verweigert, um sich zu behaupten. Der Sohn, der der Mutter den Enkel entzieht – ein Echo der Vergangenheit, in der die Mutter einst den Vater vom Sohn trennte. Wiederholt sich Geschichte? Ist Andreas nicht am Ende seiner Mutter ähnlicher, als er es wahrhaben will?

Herngren erzählt atmosphärisch dicht, mit schmerzhafter Genauigkeit. Die Innenwelt Åsas wird seziert wie unter einem Seziermesser aus Empathie und klarem Blick. Es ist Literatur, die wehtut – gerade weil sie so nachvollziehbar ist. Die emotionale Wucht ihrer Sprache lässt kaum Raum zum Durchatmen, zwingt die Leser:innen zur Auseinandersetzung. Wie war ich als Mutter?, fragt man sich unweigerlich. Welche Wahrheit hat mein Kind?

Der Roman ist mehr als ein Familiendrama – er ist eine schonungslose Studie über emotionale Machtverhältnisse, über die feinen Linien zwischen Liebe und Abhängigkeit, Fürsorge und Übergriff, Nähe und Vereinnahmung. Und er zeigt die Tragik einer Mutter, die alles richtig machen will – und dabei alles verliert.

“Wie oft war Liebe schon ganz und gar selbstlos?”, fragt Herngren auf Seite 308. Eine leise, einfache Frage – mit einer Antwort, die bleibt.

Ein beklemmendes, Buch – für alle, die bereit sind, sich selbst zu hinterfragen.

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