„Nachtgäste“ von Nenand Veličkovič

„Wann immer Serben und Muslimen in einem Satz vorkommen, ist dieser Satz ohne Logik.“. Seite 35

Manche Bücher lesen sich wie ein Schrei, andere wie ein Flüstern aus der Tiefe eines Kellers.

Nachtgäste von Nenad Veličković changiert irgendwo dazwischen – ein tagebuchartiger Roman, geschrieben aus der Sicht einer 18-jährigen, die den Krieg in Sarajevo nicht nur beobachtet, sondern ihn in ihrer Sprache, ihrem Alltag, ihrem Atem mit sich trägt. Maja, dicke Brille, abstehende Ohren, sitzt in der Teeküche eines Museums. 

Ein Ort, der zur Zuflucht wird, zum surrealen Zentrum eines zersplitterten Kosmos. Draußen fallen Bomben. Drinnen isst die Großmutter für zwei.

Was auf den ersten Blick wie ein Coming-of-Age-Roman in Extremsituationen wirkt, entpuppt sich als schwer fassbares Gewebe aus Reflexion, Zorn, Ironie und fast kindlicher Verwunderung. 

Maja schreibt über das, was sie umgibt – mit erstaunlicher Lakonie, oft fragmentarisch, in einer Mischung aus Schulaufsatz, Notizbuch und literarischem Versuch. 

Zwischen den Sätzen tauchen Latein, Umgangssprache und semantische Bruchstücke auf, als würde sie selbst noch lernen, wie man Krieg beschreibt – oder ob man ihn überhaupt beschreiben darf.

Es ist keine Geschichte im herkömmlichen Sinn, die uns hier erzählt wird. Eher ein Mosaik. Aufzählungen, essayistische Einschübe, anstrengende Banalitäten, die aufreibender sind als jedes Pathos. 

Veličković montiert eine Collage, in der Theorie und Trauma nebeneinanderstehen.

Man fühlt sich unweigerlich an Anne Frank erinnert, auch wenn der Vergleich beinahe zu nahe liegt.

Doch Maja ist kein stilles Opfer. Sie ist eine witzige, trotzige Beobachterin, deren Ton mit zunehmendem Kriegsverlauf rauer wird. Ihre Sprache verändert sich, wird drastischer, wütender, direkter. Und doch bleibt etwas merkwürdig distanziert. 

Die große Nähe, die man bei dieser Thematik vielleicht erwartet, stellt sich nicht ein. Nachtgäste bleibt seltsam kühl, ein Dokument, das sich selbst schützt – wie die tägliche Nachrichtensendung, die uns informiert, aber nicht berührt.

Einige Sätze schneiden tief. Andere zerfließen zwischen den Fingern. Manchmal verliert man sich in der Form, manchmal wird man gerade dadurch getroffen. Die Schuld des Vergessens – sie wird evoziert, ja. Und doch: Man bleibt Beobachter.

Was bleibt, ist ein ambivalentes Leseerlebnis.

Kein Roman zum Hineinfallen, sondern einer zum Innehalten. Zum Zweifeln. Vielleicht auch zum Wiederlesen.

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