„Kochen im falschen Jahrhundert“ von Teresa Präauer

„Die Freiheit des Menschen bestand auch darin, dem jeweils anderen seinen Fleck zu lassen. Seite 50

Am Anfang steht eine Einladung, der Grund eher belanglos, ein Abend mit Freunden eben.

Die Gastgeberin imaginiert den Abend als leichtes Arrangement: Jazzmusik, Wiesenblumen auf einem dänischen Designertisch, dazu Salat und Quiche und ein guter Crémant.

Eine Küche der Mühelosigkeit, der urbanen Gelassenheit. Das offene Haus, das sie beschwört, soll an einen internationalen Salon erinnern, an Austausch und Weltläufigkeit.

Doch kaum ist die Vision ausgesprochen, wird sie von exotischen Kochbüchern verdrängt, die mehr Inszenierung als Nahrung versprechen. Schon die Gewürzbeschaffung wäre eine Hürde, die Lust überhaupt einzuladen vergeht. Zu spät: Die Einladung ist erfolgt, die Zusagen sind da.

Und so beginnt ein Abend, bei dem die Autorin Präauer mit atemberaubender Leichtigkeit durch Jahrzehnte springt.

Von der Gegenwart der medialen Teilung soziokultureller Ereignisse aller Art in den sozialen Medien zurück in eine Jugend mit zusammengewürfeltem Geschirr, billiger Pasta und Regalen ohne Weinvorrat. Man ging aus auf ein Bier.

Man hatte aufessen gelernt, denn die Mutter war Kriegskind. 

Der Weg vom Mangel zum Überfluss ist zurückgelegt, der Geschmack verfeinert, der Luxus erlernt. Und doch bleibt Wehmut.

Diese Wehmut zieht sich als Unterton durch den Roman. Sie gilt den Müttern und Großmüttern, deren Gerichte vom Rollbraten bis zum Schmalzgebäck reichten, gekocht auf Holzkohle oder Elektroherd.

Präauer verhandelt hier nicht nostalgisch, eher feststellend. Vieles ging verloren mit den Rezepten, den Handgriffen, den Zwängen, und was wurde gewonnen?

Über den Salat hinweg gleitet das Gespräch vom Haushälterischen ins Philosophische. Können überlieferte Modelle, Rollenverhalten tatsächlich abgelegt werden? War nicht den Generationen von Müttern, Großmüttern, Urgroßmüttern etwas anderes versprochen als Kochen, Abwasch und Aufräumen ?

Der Wunsch nach Abgabe dieser Aufgabe klingt nach Befreiung, doch in ihm steckt auch die Passivität des Empfangens. Ist Wünschen wünschenswert – oder ambivalent?

Mit Witz, Überzeichnung und treffsicheren Wortspielen entfaltet die Autorin hier eine Mikropolitik der Paarbeziehung, die großen Fragen der Gleichberechtigung im Kleinen des Alltags. Wer macht ihn weg, den Fleck?

Kochen im falschen Jahrhundert ist ein vielschichtiger Roman über die Veränderung der Rolle der Frau in der Küche und über die Küche selbst. Vom fettlastigen Gesottenen zur internationalen Starkochliteratur, vorwiegend vegetarisch, bis zurück zur Entdeckung der Einfachheit. Es geht um verloren gegangene Traditionen, Rezepte und Zubereitungsweisen, aber auch um das Erzählen darüber.

Denn am Tisch sitzen nicht nur Esser, sondern Biografien. Die Gäste bringen Reisen mit, Erinnerungen an Geschmäcker und Gerichte.

„Im Essen steckte immer schon die Geschichte eines Landes und seine Gegenwart.“ (S. 140)

Präauers Beschreibungen machen Appetit. Die beschriebenen Gerichte sind exotisch, fast schmeckbar, beschrieben vom herrlichen knallgelben Senf bis zur metallisch schillernden Fischhaut. Sie wandelt durch die Länder, und immer macht wer ein Foto.

400 fotografierte kulinarische Erlebnisse auf dem Smartphone – wozu?

Die Tischgespräche changieren zwischen Offenheit, Besitzstandswahrung und Frivolität, drehen sich um politisches Bewusstsein und private Befindlichkeiten, pendeln zwischen dem Wunsch nach Gemeinschaft und der Angst davor.

Teresa Präauer zeigt variantenreich, wie viel Geschichte, Gegenwart und Zumutung in einer scheinbar harmlosen Einladung stecken können.

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