„Gittersee“ von Charlotte Gneuß

„In unserer Arbeit gilt: Das Unauffällige ist das Auffälligste, das Auffälligste aber sollte nie aus dem Blickfeld geraten. Und es gilt Geheimhaltung“ Seite 136

„Gittersee“, dieses erstaunliche Debüt von Charlotte Gneuß wurde nominiert für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2023.

Das Setting fängt die Athmosphäre der Siebzigerjahre in der DDR ein. Es wartet mit Details auf und vermag den perfiden Umfang und die Manipulation der staatlichen Überwachung spürbar zu machen.

Es ist die Zeit der Schlaghosen, der Polyesterblusen und Miniröcke und explodierten Wuschelfrisuren. Die Pudys bringen „Alt wie ein Baum heraus“ und im Kino läuft „Die Legende von Paul und Paula“. Die DDR unterzeichnet die Schlussakte von Helsinki und der Liedermacher Biermann wird ausgebürgert.

Insider werden sich und ihren Alltag wiedererkennen. In Wandzeitungsdiensten, jeder Menge sozialistischem Sermon:

„Die DDR ist der Pionier der friedlichen Kernenergie.“ Seite 80

und Fahnenapellen.

Fahnenapell… wer es nicht kennt:

Zu Beginn des Schuljahres oder wichtigen Verlautbarungen stellte sich die gesamte Schule in Klassenformation um die Fahne der DDR. Die wurde gehisst und gegrüßt. Die Kleinen oder Jungpioniere legten die ausgestreckte Hand auf den Scheitel und riefen -immer bereit-. Das war die Antwort auf den Satz: „Für Frieden und Sozialismus -seid bereit“.

Die Großen in ihren Blauhemden brummten „Freundschaft“ als Erwiderung auf „Freundschaft“. Es wurde getrommelt, sozialistische Lieder abgespielt und der Direktor hielt eine Rede und schwor alle auf den Sozialismus ein.

Das alles ist Alltag für die 16 jährige Karin und ihre Freundin Marie. Doch mit 16 rückt die Schule etwas in den Hintergrund, denn Karin ist knallverliebt in Paul.

Paul arbeitet schon in der Zeche aber er möchte Kunst studieren. Karin macht sich über die Zukunft noch nicht so viele Gedanken. Sie will einfach nur glücklich sein, verliebt und alle ersten Male genießen. Paul ist ihre gesamte Welt.

Und plötzlich ist Paul weg. Sie wollten zusammen in die Tschechei doch er ist rübergemacht und es ist natürlich nur eine Frage der Zeit bis die Staatssicherheit an Karins Haustür klopft.

Die Autorin geht hier klug zu Werke. Wie das Licht einer Nachttischlampe beleuchtet sie immer nur einen kleinen Ausschnitt des Geschehens. Erst zum Schluss geht das Licht an und in seinem grellen Schein kann man den Verlust grell ausgeleuchtet sehen.

Erst dann sieht man das Ausmaß der opernhaften Tragödie in einem dramatischen Finale.

Charlotte Gneuß‘ Schreibstil in ihrem Roman „Gittersee“ zeichnet sich durch eine prägnante und gleichzeitig poetische Sprache aus. Sie verwendet eine klare, manchmal fast minimalistische Prosa, die dennoch tiefgehende Emotionen und komplexe Stimmungen vermittelt. Gneuß gelingt es, eine dichte Atmosphäre zu schaffen, die den Leser in die Welt der Protagonisten hineinzieht.

Ein herausragendes Merkmal ihres Stils ist die Verwendung von bildhaften Beschreibungen und Metaphern, die die inneren Zustände der Figuren und die äußere Welt kunstvoll miteinander verweben. Ihre Erzählweise ist oft introspektiv, was den Leser dazu einlädt, die Gedanken und Gefühle der Charaktere intensiv nachzuvollziehen.

Zudem zeichnet sich ihr Stil durch eine rhythmische Struktur aus, die den Fluss der Erzählung unterstützt und manchmal fast lyrisch wirkt. Gneuß gelingt es, sowohl die Härte und Kargheit der beschriebenen Lebensumstände als auch Momente von Schönheit und Hoffnung einzufangen.

Und immer wieder stehe ich am Ende da und blicke voll Abscheu auf dieses menschenverachtende System, dass selbst vor Kindern nicht Halt machte.

Ich kann dieses Buch nur empfehlen als ein Stück unserer deutsch-deutschen Geschichte.

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