„Einfach Literatur“ von Klaus Willbrand und Daria Razumovych

„Ein Antiquar macht das sein Leben lang, bis er nicht mehr kann. Und so wird es auch bei mir sein.“ Seite 202

Dass Literatur nicht nur zwischen zwei Buchdeckeln stattfindet, sondern im Austausch, im Fragen, im Erinnern – das macht dieses kluge Buch spürbar. In Einfach Literatur erzählen Willbrand und Razumovych nicht nur von Büchern, sondern davon, wie Literatur zum Lebensraum wird – und ein alter Büchertisch auf dem Kölner Antikmarkt zum Portal in eine andere Welt.

Daria begegnet dort dem 80-jährigen Klaus Willbrand, einem Mann mit mehr Leben und Lesestunden als die meisten je in Worte fassen könnten. Was als flüchtige Begegnung beginnt, wird bald zu einer besonderen Verbindung zweier Menschen, die auf je eigene Weise in die Welt der Literatur eingetaucht sind – sie neugierig, offen, digital; er analog, erlesen, kantig.

Das Antiquariat, das sie gemeinsam zum digitalen Leben erwecken, ist dabei nicht nur ein Ort der Bücher, sondern der Beziehungen. Willbrand, der belesene Bonvivant, war nie ein Freund des bequemen Lesens. Mit fast liebevoller Härte beschreibt er manche Werke als unfassbar schwer, entlarvt den Kult der Kassenromane und bedenkt auch große Namen mit selbstbewusster Kritik. Wer ihm zuhört, merkt rasch: Hier spricht keiner aus Eitelkeit – sondern aus Leidenschaft.

Besonders beeindruckend ist, wie das Buch Sprache nicht nur zum Thema macht, sondern ohne zu dozieren Werk und Autor*in Nachbar machen will. Die Kapitel sind durchzogen von klugen Beobachtungen, biografischen Details, persönlichen Vorlieben – und einem feinen Gespür für das, was Literatur heute noch bedeuten kann: Tiefe, Irritation, Erkenntnis.

Wenn Willbrand etwa den Literaturbetrieb der letzten Jahrzehnte gegen den Strich bürstet, dann klingt das nach einem intellektuellen Armdrücken mit Marcel Reich-Ranicki – bissig, kenntnisreich, unverstellt. Und stets mit dem Ziel, Literatur sichtbar zu machen, nicht sie zu verklären.

Dass er die Veröffentlichung dieses Buches nicht mehr erlebt hat, verleiht dem Schluss eine stille Melancholie. Die letzten Seiten, gefüllt mit Posts, Kommentaren und Erinnerungen an diesen eigensinnigen, hochgebildeten „Lesegewaltigen“, lesen sich wie ein digitales Nachwort – sehr gegenwärtig, sehr berührend.

Fazit:

Einfach Literatur ist keine Einführung, sondern eine Verführung. Wer bereit ist, sich  auf Willbrands Kenntnis, seiner Meinung, seiner Begeisterung einzulassen, wird belohnt mit einem Buch, das mehr ist als ein literarischer Wegweiser: ein Denkraum, ein Erinnerungsstück, ein Lesemotivator. Und wer seinen Stapel ungelesener Bücher nicht weiter belasten will – sollte es dennoch lesen. Denn nach Seite 55 weiß man wieder, warum: „Am Ende des Tages heißt es: lesen, lesen, lesen.“

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