„Der Gott des Waldes“ von Liz Moore

„Zu viele Generationen mit zu viel Geld“ S. 363

Kaum ein Thriller des Jahres 2024 wurde so einhellig bejubelt wie Der Gott des Waldes. Der Roman galt früh als literarisches Großereignis, als Werk, das Schädel und Herz zugleich beanspruchen sollte.

Tatsächlich hinterlässt das Buch einen starken ersten Eindruck.

Es ist atmosphärisch dicht erzählt, stark in der Konstruktion, doch schwächer im Eigenwert

Unbestreitbar: Liz Moore versteht das Handwerk der Spannung, den Thrill!

Die sieben Zeitebenen, die sie miteinander verbindet, sind gut arrangiert. Jede Verschiebung in der Chronologie dient der Intensivierung des Geheimnisses um die Familie van Laar, um das Camp und um das verschwundene Kind Bear. Das macht die Lektüre streckenweise zu einem Sog aus Enthüllung und Verdichtung.

Doch gerade das Formale, das so souverän wirkt, lässt das erzählerische Fundament erstaunlich vertraut erscheinen. Der Plot um verschwundene Kinder, das Spiel mit der Legende des Waldes, der familiäre Abgrund. Vieles trägt deutliche Spuren der literarischen Thrillertradition, so das man sich gelegentlich fragt, ob diese Geschichte nicht auch aus der Feder anderer stammen könnte.

Überzeugender wirkt die gesellschaftliche Dimension, in die Moore ihre Familie van Laar setzt. Der Klassenhabitus, das patriarchale Gefüge, die moralische Flexibilität, die Privilegien ermöglichen. Der Roman spricht über Herkunft, Ungleichheit und Machtmissbrauch in einem Ton, der eher illustriert als irritiert. Die Kritik ist treffend, überrascht aber kaum.

Obwohl die Figuren aus strukturellem Denken heraus handeln, bleibt auch hier das Gefühl, bereits ähnliche gesellschaftliche Konstellationen in Romanen wie Die Anderen von Laila Lalami oder „Die Rettung“ von Charlotte McConaghy gelesen zu haben.

Die Figuren wirken wie schemenhafte Träger eines Traumas, aber selten wie Menschen aus Fleisch und Geschichte. Moores Sprache erzeugt Spannung, nicht Beziehung. Für einen Thriller ist das legitim, für einen literarischen Roman bleibt hier ein Defizit.

Die Natur ist der große Triumph des Buches. Der Wald erhält erzählerische Tiefe, wird Spiegel, Drohung und Mythos, dieses von Geheimnissen durchsetzte, undurchsichtige Unterholz zieht den Lesenden hinein ins mysteriöse Dunkel.

Am Ende bleibt ein ambivalentes Gefühl. „Der Gott des Waldes“ ist ein durchweg starker Thriller, atmosphärisch präzise, formal beeindruckend und erzählerisch kompetent. Doch es fehlt ihm ein Funken radikaler Eigenheit.

Das Buch lebt von seinem Setting, seiner Spannung, der kunstvollen Konstruktion. Aber es wagt wenig jenseits der Tradition, aus der es schöpft. Wo es hätte verstören können, bleibt es erzählerisch konventionell. Wo es gesellschaftlich hätte provozieren können, agiert es nicht schneidend genug sondern bleibt alten Mustern treu.

Wer sich spannungsreich unterhalten will, wird bestens bedient. Wer literarische Neuerungen sucht, wird hier und da ein Déjà-vu erleben.

Meisterhaft übersetzt von Corneluis Hartz, der 3 Monate an diesem Werk gearbeitet hat, um all den verschiedenen Stimmen im Buch einen eigenen Sound zu geben. 

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