„Wie immer man zu Kai Hochwerth stehen mochte; er und das Leben gingen seit dem 7. Mai getrennte Wege.“ Seite 22
Mit Der Einfluss der Fasane legt Antje Rávik Strubel einen sprachgewaltigen Roman vor, der nicht nur als literarisches Meisterwerk überzeugt, sondern auch eine scharfsinnige, gesellschaftskritische Analyse liefert. Im Zentrum steht die Journalistin Hella Karl, eine Figur von kühler Berechnung, deren Blick auf die Welt ebenso unnachgiebig wie analytisch ist. Ihr Werdegang, geprägt von männlichen Attributen wie Ehrgeiz, Härte und Machtstreben, stellt die Frage nach der Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlechterrollen in einer nach wie vor patriarchal geprägten Gesellschaft.
Medien, Macht und moralische Ambivalenz
Strubel seziert mit feiner Klinge die Mechanismen der Medienlandschaft, in der ein einziger Satz eine Karriere ruinieren oder eine gesellschaftliche Debatte auslösen kann. Hella Karl, einst gefeierte Enthüllungsjournalistin, hatte mit einer einzigen Schlagzeile – „Intendant zwingt Schauspielerin zur Abtreibung“ – den Theatermacher Kai Hochwerth ins gesellschaftliche Abseits gedrängt. Doch war ihre Formulierung journalistische Aufklärung oder bloßer Sensationalismus? Diese Ambivalenz durchzieht den gesamten Roman. Strubel führt vor, wie leicht die Grenzen zwischen moralischer Verantwortung und persönlichem Kalkül verschwimmen, wenn Medien über Einzelschicksale richten.
Die Aktualität dieser Thematik ist unübersehbar: In Zeiten von Cancel Culture und medialen Skandalen rückt Der Einfluss der Fasane die Frage in den Fokus, ob öffentliche Enthüllungen immer gerecht sind oder ob sie – bewusst oder unbewusst – Menschen zerstören, um einer Story willen. Strubel spielt mit der Macht des Wortes, indem sie aufzeigt, dass nicht nur Täter, sondern auch diejenigen, die über sie berichten, Teil eines fragwürdigen Systems sind.
Das Geschlecht der Macht
Hella Karl ist keine klassische Heldin, vielmehr eine Anti-Heldin, die das traditionelle Bild der weiblichen Figur dekonstruiert. Empathie, Nachsicht oder Geduld – klassisch „weibliche“ Tugenden – sind ihr fremd. Stattdessen verfolgt sie ihren Weg mit einer fast gnadenlosen Konsequenz, die sie an die Spitze bringt. Sie ist „die Leuchtende“ (Hella) und „der freie Mann“ (Karl) zugleich, eine Verkörperung beider Geschlechterrollen in einer einzigen Person. Doch was bedeutet das für ihre Identität? Strubel fragt subtil, ob Frauen, die sich in männlich dominierten Machtstrukturen behaupten, zwangsläufig maskulin konnotierte Verhaltensweisen übernehmen müssen – und was das für ihre Menschlichkeit bedeutet.
Parallel dazu steht Kai Hochwerth, der gefeierte Star der Theaterwelt, der sich vom charismatischen Intendanten zum Tyrannen entwickelt. Die Angst, die er unter seinen Mitarbeiter:innen verbreitet, die sexualisierte Machtausübung – all das erinnert an reale Skandale, die die Kultur- und Medienbranche immer wieder erschüttern. Doch Hochwerth bleibt nicht bloß Täter, sondern wird auch zum Opfer medialer Narrative, die ihn letztlich ins Exil und in den Tod treiben.
Ein Genuss für Sprachliebhaber:innen
Strubels Sprache ist von gewaltiger Opulenz. Wortspielereien, klangliche Raffinesse und tiefgründige Metaphern machen den Roman zu einem sprachlichen Fest. Das Wasser – mal still, mal plätschernd, mal form- und haltlos – zieht sich als poetisches Motiv durch den Text, ebenso wie die Fasane, die titelgebend für das Werk sind. Diese Tiere, einst Statussymbole, später in die Bedeutungslosigkeit verbannt, könnten als Sinnbild für die Figuren des Romans gelesen werden: einst einflussreich, nun vergessene Relikte einer veränderten Gesellschaft. Dies ist allerdings nur meine Mutmaßung.
Ein sprachlicher Hochgenuss und ein literarisches Ereignis.