„Wenn wir so wollen, ist der Deutsche ein polnischer Holländer aus Mailand mit französischen und schwedischen Großeltern aus Bern, einer jüdischen Tante aus Sankt Petersburg und einem serbischen Onkel aus Wien.“
Wer kennt ihn nicht, unseren Kerkeling, der raus an die Luft oder mal weg musste, der dem Grevenbroicher Tagblatt seinen Horst Schlämmer geschenkt hat und uns die Wildschweine? Wir sind ein Baujahr, und natürlich habe ich ihn in vielen Rollen gesehen.
Noch liege ich hier im Krankenhaus und bin erstaunt über die Opiate, die ich bisher ausprobieren durfte. Meine Augen rollen noch immer wie kleine Kugeln durch die Berge von Jim Knopf, will sagen, Lesen geht damit nicht, zumal ganze Zeilen tolldreist aus den Büchern verschwinden.
Also dann vielleicht ein Hörbuch, und siehe da, die Ohren können schon folgen, auch wenn ich nicht sicher bin, dass sie alle Meldungen weitergegeben haben.
Dieses Hörbuch fand ich beim Piper Verlag. Hape Kerkeling hat die Pandemie genutzt, um sich tief in seinen Stammbaum einzugraben, und jetzt bittet er „Gebt mir etwas mehr Zeit“ und klettert mit uns seine Ahnenreihe rauf und runter.
Zu Beginn spricht er ganz allgemein von unser aller Stammoma Lucy, die in Afrika aufbricht und deren Nachfahren u.a. Europa besiedeln werden. Lucy war also Afrikanerin und schon dadurch degradiert sie die heutige AfD-Schreigesellschaft zu Omahassern.
Wenn sich die Blauen dann weiter mit ihren Stammbäumen beschäftigen würden, würden sie noch mehr leiden, denn halb Europa hat eine kleine, manchmal auch größere Erbspur in ihnen hinterlassen.
Doch was hat mich an Hapes Chronik so begeistert? Sie ist wissenschaftlich recherchiert, launig vorgetragen und oft ersetzt ein Lächeln den Satzpunkt.
Aber Kerkeling schreibt nicht nur über Namen, Schiffe und seine Lieblingsstadt Amsterdam. Er schreibt auch über seine erste große Liebe, die er mit 24 als homosexueller (ungeouteter) Mann findet. Eine Liebe auf den ersten Blick – Duncan!
Doch wir haben 1988, Aids geht um, ein Heilmittel gibt es nicht. Einige lassen sich nicht von der Krankheit knechten und flüchten ins freie Amsterdam. Die deutschen Hüter der Moral reagieren eher mit Ausgrenzung. Doch egal wo auf der Welt, Aids beendet brutal zahlreiche Leben.
Aber die Liebe ist nun mal eine Himmelsmacht. Kerkeling mit Goldtolle ist verliebt. Ein Jahr des ungetrübten Glücks vergeht, dann erscheint ein Fleck am Hals von Duncan.
Aber Hape bleibt und beschreibt so unfassbar mitmenschlich, wie zerstörerisch die Krankheit war.
Und er begeistert mich mit dem Satz, dass auch eine gequälte Seele immer wieder Freude schenkt. Manchmal nur ganz kurz, manchmal einen ganzen Tag, weil die Seele nicht immer krank sein kann.
Und genau diese Tage muss man nutzen, muss man das Licht spüren, die Sonne auf der Haut tanzen lassen und Hoffnung haben.
Tage unfassbarer Leichtigkeit, an denen man meint, dass vielleicht doch noch alles gut werden könnte.
Gerade das hat mich unglaublich berührt. Mit welchem Weh Hape Kerkeling sein Schicksal und das des Freundes schildert.
Ich lege euch dieses Hörbuch sehr ans Herz. Es ist klug. Es ist eine geschichtliche Abhandlung. Hape hat viel recherchiert in den beiden Jahren der Corona-Pandemie.
Das Buch ist voller Überraschungen. Es ist ein Statement der Menschlichkeit, der Völkerverständigung, des Glaubens und der Liebe zur Stadt Amsterdam. Ich liebe dieses Hörbuch und Kerkelings weiche Stimme mit der schönen Stimmfarbe sehr.