„Vom Krähenjungen“ von Sonja Kettenring

„Keiner ist wie alle, sagt er. Jeder ist immer nur er selbst“ Seite 40

Mein Name ist Sam. Im Dorf Moosbruck nennen sie mich den Krähenjungen und verschließen die Türen vor mir. Sie können die Stille um mich herum nicht ertragen. Auch macht ihnen die Kälte Angst und wohl auch meine alten, dunklen Augen.

Ich bin sein Fleisch und Blut, aus seinem Holz geschnitzt und unverwundbar. Und der Schuldige an allem, weil die Welt immer einen Schuldigen braucht.

Von so einem muss man sich fernhalten, sagen die Moosbrucker und erzählen Schauergeschichten über den See und den toten Wald und dem Münchner mit den blauen Augen, der sein Großvater war und eine ihrer Dorftöchter mit sich nahm.

Fernhalten!

Doch was, wenn er zu dir kommt?

Und er kommt, kommt in das Dorf gefolgt von den Krähen, kommt in die Bäckerei zu Karolina und etwas ändert sich.

Sie hat es schon gespürt am See. Dem See, der nie zufriert, den die Einheimischen meiden.

Der See zieht sie an obwohl die Kälte in ihm wohnt: schwarze Steine legen eine Spur für dich, damit du den Weg findest, ins Innere des Sees“. Seite 14

Doch sie hat eigenes Leid erfahren, der Geliebte ist Tod, vielleicht betrachtet der See sie als seinesgleichen und gibt sie wieder frei.

Und da ist Emmi. Karolinas fünfjährige Tochter. Oder eher eine mythische Priesterin? Einer Cassandra gleich sagt sie die Zukunft vorher. Eine naive Seele, die unverstellt sehen kann, was die anderen durch ihre Angst erblinden lässt.

Sonja Kettenring schafft hier ein sehr besonderes Buch. Es ist eng und düster. Es ist kalt und sobald einmal ein Sonnenstrahl in dieses mystische fast märchenhafte Buch fällt, möchte man sich darunter stellen, um sich daran zu wärmen.

Es ist wie hundert Sagen und doch so gegenwärtig.

Die poetische Sprache offenbart eine alte Seele, wechselt aber auch gekonnt in den Slang der Dieszeit, wenn wir von Lissi lesen.

Er ergießt sich in inneren Dialogen.

In dem was nicht gesagt wird, wird dem Leser die Aufgabe zuteil diese Lücke zu füllen. Das ist anstrengend und aufregend zugleich. Es ist wie das Eintauchen in den dunklen See. Die Kälte raubt den Atem.

Habe ich meinen Atem angehalten? Habe ich gemerkt, dass ich ihn angehalten habe? Nein. Ich atme aus. So ein Buch ist das.

Besser kann ich es nicht fassen, es entwischt zu gern mit all seinen Facetten, spielt Verstecken. Es ist neu, anders, spannend. Ein Leseerlebnis wie ich lang keines mehr hatte.

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