„Die Sonne lockte den Geruch des Heus aus den Ballen und machte die Staubpartikel sichtbar, die nach der kleinsten Bewegung durch die Luft flirrten.
Seite 98
Zwei Seiten eines Apfels. Eine rot, süß und sonnenbeschienen und die andere grün und sauer, da sie auf der schattigen Seite aufwuchs.
So sind die Zwillingsschwestern Alma und Helene. Bei der Geburt wurden sie durch ein verhängnisvolles Abkommen und eine Liebe, die keine sein durfte getrennt.
So wächst Helene auf dem Apfelhof ihres Vaters auf.
Der gestrenge Blick ihrer Großmutter Margot sitzt ihr ebenso im Nacken wie der Vorwurf, dass sie ein Junge hätte werden sollen.
Alma dagegen muss mit ihrer Mutter gehen und landet durch unglückliche Fügungen in einer christlichen Anstalt.
Im Reich der Nonnen, die Mädchen gefallener Frauen aufnehmen, herrscht Schwester Theofriedies mit herzloser Strenge über die ihr anvertrauten kindlichen Seelen.
Statt Obhut und Nächstenliebe gibt es an diesem Ort Schläge und Angst bis die kleinen Seelen brechen.
Fast siebzig Jahre vergehen, da erfährt Helene durch alte Briefe und eine Zeichnung von der Existenz ihrer Zwillingsschwester Alma.
„Nach beinahe sieben Jahrzehnten vom ich zum wir.“ Seite 163
Zögerlich macht sie sich auf die Suche nach der Schwester und der eigenen Vergangenheit.
Die Autorin Sabine Gelsing legt hier einen Roman vor, der fassungslos macht.
Wie können die zwei Silben in „Nonnen“ Kinder vor Furcht erstarren lassen?
Wie eine kalte Hand greift diese Geschichte ans Herz.
Der Griff wird noch fester, wenn man erfährt, dass die Mutter der Autorin dieses Schicksal erlitt, dass der Roman biografische Anteile enthält.
In konzentrischen Kreis nähert sich die Geschichte ihrem Mittelpunkt. Eine Erkenntnis erwächst aus der anderen und steigert die Erschütterung. Vergangenes erhält plötzlich eine andere Bedeutung. Scheinbar Nebensächliches mutiert zur Hauptsache.
Ich kann Sabine Gelsing hier nur ein Kompliment machen.
Der Roman ist hervorragend komponiert. Alle Charaktere sind glaubhaft und gut ausgearbeitet. Im Fall der Schwestern wachsen sie mit. Ihre Wandlung durch die prägenden Erlebnisse ihrer Vergangenheit sind nachvollziehbar und deshalb umso bitterer.
Besonders der kleine Finn als Mutmacher und Motor für diese Geschichte mit seiner naseweis-sympathischen Art wächst ans Herz und hätte ich einen Hund, wäre „Bachmann“ sein Name.
Eine klare Leseempfehlung für alle, die die Wucht von Gefühlen spüren möchten um Teile unserer Geschichte verstehen zu können. Für alle, die sich überraschen lassen wollen von einem richtig guten Buch.
-Für mache Wunden gibt es kein Pflaster, nur den Versuch einer Heilung.-
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