„Manche Sprachen haben keine Worte, und die der Gewalt gehört dazu“.
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Inti Flynn und ihre eineiige Zwillingsschwester Aggie wachsen wechselseitig bei Mutter und Vater auf. Die Eltern leben getrennt. Während die Mutter, eine knallharte Grossstadtpflanze, als Ermittlerin bei der Polizei arbeitet, wohnt ihr Ex im Wald.
Er, der Vater ist ein Exholzfäller und sieht sich als Bewahrer der Erde. Er will seinen CO2- Fußabdruck so niedrig wie möglich halten und kämpft als Selbstversorger gegen den Klimawandel.
Seine Leidenschaft für die Umwelt gibt er an Inti weiter.
Ansonsten sind die Schwestern sehr verschieden. Aggie ganz selbstbewusste Partymaus ist der Gegensatz zu ihrem Spiegelbild Inti, die eher wissenschaftlich nüchtern agiert, eine ausgelassene junge Frau. Sie sucht nach einer Richtung im Leben und verläuft sich.
Inti dagegen hat ein klares Ziel vor Augen, dass nur beeinträchtigt wird durch ihre schüchterne Art und eine neurologische Störung. Zur Mirror-Touch-Syntästesie komme ich später noch, denn sie spielt eine wichtige Rolle.
Nach einem naturwissenschaftlichen Studium beschäftigt Inti sich mit der Lebensweise von Wölfen, spezialisiert sich darauf und wird zur Leiterin des „Cairngorms Wolf Project“ in Schottland. Hier werden Wölfe ausgewildert um wieder ein funktionierendes Ökosystem zu installieren.
Da das Rotwild keine natürliche Feinde hat, frisst es die frischen Triebe der Pflanzen und damit geht eine allmähliche Versteppung des Landes einher.
Der Roman von Charlotte Mc Conaghy zeichnet ein umfassendes Bild über das Leben der Wölfe in freier Wildbahn und ihrer Funktion für unseren biologischen Kreislauf.
Doch Canis lupus lupus ist ein Beutegreifer und damit öffnet er das Tor zu den Urängsten der Menschen.
So verwundert es nicht, dass die Dorfbewohner nicht in Jubel ausbrechen als um sie herum die Wölfe losgelassen werden.
Durch ihre neurologische Störung, der Mirror-Touch-Synästesie, ist die Protagonistin Inti eigentlich eine überempfindliche Emphatin. Ihr Gehirn spürt alle sinnlichen Eindrücke anderer Lebewesen am eigenen Leib.
Doch diese feinfühlige Frau drückt ihr Projekt wuchtig durch. Einfühlungsvermögen ersetzt sie komplett durch Wut. Selten habe ich so eine jähzornige Wissenschaftlerin erlebt.
-Wer mit dem Kopf durch die Wand geht, hat mit dem Verstand nicht die Tür gesucht- (Willy Meurer).
Das dies nicht gut gehen kann, erschließt sich von selbst.
Dieses Buch erzählt eine fulminante Geschichte im Spannungsfeld zwischen Mensch und Tier mit herrlichen Naturbeschreibungen und einer grossartigen Recherche über das Leben der Wölfe und deren Bedeutung für ein funktionierendes Ökosystem. Ein Buch geprägt von Gewalt, die aus Unverständnis erwächst und das eigentliche Raubtier Mensch demaskiert.
„Sie hat Geliebtes aus dieser Welt genommen.“ Seite 395
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