„Every Woman I know is in pain“ Caroline Reilly Seite 74
Weil ich in der Vergangenheit selbst viele Schmerzen aushalten musste, habe ich mir das Buch „Unversehrt – Frauen und Schmerz ein autobiografisches Plädoyer“ von Eva Biringer gekauft.
Vorgestellt hatte ich mir eine Art Gesundheitsratgeber im Umgang mit dem Schmerz, die Beschreibung der Arten des Schmerzes und vor allem eine Untersuchung des weiblichen Schmerzes im Gegensatz zum männlichen Schmerz.
Meine Erwartungen wurden teilweise erfüllt.
Dieses Buch ist mehr als eine medizinische Enzyklopädie, es ist ein feministisches Buch über uns als „schwaches Geschlecht“. Ein Buch von der Entstehung des Mythos der zerbrechlichen, leidenden Frau in und durch eine patriarchale Welt.
Mein Fazit ist Wut und die Erkenntnis, dass Frauen noch immer Menschen zweiter Klasse sind.
Und dann auch noch:
selbst schuld an ihrem Schicksal, warum haben wir auch vom Baum der Erkenntnis genascht oder im alten Griechenland die Büchse der Pandora geöffnet?
Wir Frauen haben über die Erbsünde das Leid über die Welt gebracht und dafür müssen wir mit lebenslangen Schmerzen bestraft werden.
Sie fangen mit der Menstruation und PMS an, gehen über den Geburtsschmerz bis hin zur Menopause, Brustschmerzen oder Frauenkrankheiten wie Fibromyalgie und Endometriose.
Das allein hat kein Mann verursacht, sagt ja auch keiner. Aber hätte ein Mann diese Schmerzen, wären Mittel dagegen schon erforscht und die Leiden gelindert oder? Das Gegenteil ist noch heute der Fall.
Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen Schmerzen einfach nicht geglaubt werden.
„Ein Mann bekommt Schmerzmittel. Eine Frau etwas für die Nerven“.
Wenn die Medizin vor unbekannten Symptomen der Frau steht, so gelten diese in 2024 als somatoforme Störungen. 1970 hieß es noch psychosomatisch und 1920 hysterisch.
„Kurz gesagt: entweder sind alle Frauen krank, oder einige Frauen sind verrückt. S120
Weitere Themen des Buches sind Schmerzen, die uns von außen zugefügt werden, wie Schläge, Verstümmelung und Vergewaltigung bis hin zum Femizid.
Und was mich richtig auf die Palme bringt ist folgende Erkenntnis:
„Entscheidungen über ihren Körper (gemeint ist die Frau) sind selten Privatsache und immer Ziel gesellschaftlicher Bewertung“. Seite 89 (siehe Paragraph 218 StGB)
Ganz aktuell muss man hier nur in die Wahlprogramme von CDU und AfD schauen.
Die CDU betrachtet die derzeitige Gesetzgebung des § 218 als ausgewogenen Kompromiss, der sowohl das Selbstbestimmungsrecht der Frau als auch den Schutz des ungeborenen Lebens berücksichtigt.
Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU, äußerte sich kritisch zu Vorstößen, die Straffreiheit bei Abtreibungen ausweiten wollen, und bezeichnete solche Initiativen als “Affront”.
Die AfD verfolgt eine Politik, die den Schutz des ungeborenen Lebens in den Vordergrund stellt und Schwangerschaftsabbrüche auf ein Minimum reduzieren möchte. Dies bedeutet, dass Schwangerschaftsabbrüche nur noch bei gesundheitlichen Risiken für die Mutter oder nach Sexualdelikten erlaubt sein sollen.
Fazit zum Buch:
Biringer beleuchtet das Thema Schmerz unter historischen, medizinischen und politischen Gesichtspunkten. Neben vielen fundierten empirischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten lässt sie auch die eigene Geschichte einfließen. Sie hält mit persönlichen Statements oder Vermutungen nicht hinter dem Berg.
Mit dieser solidarischen Haltung macht sie sich sympathisch und zeigt Empathie. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob dadurch nicht die empirischen Werte geschwächt werden.
Die Fakten sprechen ohnehin für sich.
Bsp. Alle 11 Sekunden wird irgendwo auf der Welt ein Mädchen beschnitten. 170 Millionen Betroffene weltweit.
Das Buch ist gut lesbar.
Es ist mit vielen Buch- und Filmempfehlungen zur Vertiefung des Themas versehen und zahlreiche kluge Frauen und Aktivistinnen werden zitiert.
Bei manchen Schmerzarten wie die beim Sport, bei ästhetische Vorlieben und Diäten halte ich eine rein weibliche Klassifizierung für zu gewagt, zumal diese mit dem Gewolltwerden der Frau erklärt wird. Ich bezweifle, dass eine Spitzensportlerin sich nur quält um von Männern gesehen zu werden.
Auch Lösungsansätze fehlen in Biringers Buch weitgehend und was besonders frustriert ist, dass es kaum einen Ausblick auf eine Verbesserung gibt. Weil es die tatsächlich nicht gibt?
Stattdessen gibt es humorige Ratschläge am Buchende, wie man gegenüber seinem Arzt auftreten soll, damit frau geglaubt wird.
„ Lassen Sie sich bei ihrem Arztbesuch von einem Mann begleiten.…(der kann auch schweigen) … seine Gott gegebene Autorität reicht völlig aus, damit ihr Arzt Ihnen endlich zuhört. Seite 216
Ein lesenswertes Buch, dass zumindest bei mir, eine Erkenntnis schuf.
Der Mann ist immer noch (und das nicht nur in der Medizin) das Maß aller Dinge.