Single Mom Supper Club von Jacinta Nandi

Ihr meint nur: Hört auf, Ausländer zu sein.“ Seite 79

Das erste Bild ist trügerisch: Jacinta Nandi, in einem YouTube-Video, klein, mit dunklem Haar und Augen, die im Lachen fast zu kullern scheinen. Die Stimme – ein charmanter, britischer Akzent, der jede Silbe in federnde Leichtigkeit hüllt. Alles deutet auf Unschuld, auf ein höfliches Spiel der Sprache. Doch was folgt, ist ein Bruch. Mit sarkastischer Präzision schlägt sie zu, trifft ins Mark einer deutschen Ordnungskultur, deren Selbstverständnis sie zerlegt.

Als mir Single Mom Supper Club als Patenbuch der Longlist zufiel, erwartete ich die ironische Verspieltheit eines popkulturellen Textes, vielleicht Sargnagels Iowa nicht unähnlich: fragmentarisch, witzig, leicht. Stattdessen begegnete mir ein Werk, das den Leser durch rhythmisch kurze Kapitel in einen Diskursraum zwingt, in dem Humor nicht entlastet, sondern verunsichert. Das Lachen, wenn es kommt, ist ein trockenes, widerständiges Lachen, das sich in der Magengrube einnistet wie der Nachhall eines zu scharfen Alkohols.

Im Zentrum stehen vier Frauen, vier biografische Sollbruchstellen in einem urbanen Kontext, der vermeintlich progressiv, tatsächlich aber von ökonomischer und kultureller Ungleichheit durchzogen ist. Antje – „die schreckliche Antje“ – verkörpert die Figur der ostdeutschen Normen-Exekutorin, eine Monstranz der Regeltreue. An ihrer Seite drei Engländerinnen, gestrandet in Berlin, angelockt von Hoffnung, Flucht oder Zufall. Tamara, die literarisch Ambitionierte ohne Werk; Kayla, chaotische, liebenswerte People-Pleaserin mit prekären Jobs; und Sad-Lina, gefangen in einer toxischen Beziehung, die sie systematisch entmächtigt. Alle eint die Suche nach Nähe, Geborgenheit, Sicherheit und das Scheitern an strukturellen wie individuellen Grenzen.

Die Gegenfolie zu diesen „normalen Müttern“ bilden die „Cocaine Moms“: junge, hypermedialisierte Alleinerziehende, die sich in einem Tableau aus Instagram-Ästhetik, Konsumzeichen und performativem Selbstentwurf inszenieren. Fingernägel wie Waffen, Stanley Cups als Fetische, Designerware als Muttermythos. Ihre Lebensrealität changiert zwischen ökonomischer Abhängigkeit und digitaler Sichtbarkeit – eine Parodie neoliberaler Emanzipationsversprechen. Ist dies Feminismus im Zeitalter der Plattformökonomie oder lediglich die ästhetisierte Rückkehr alter Abhängigkeiten?

Nandi montiert diese disparaten Lebenswelten zu einem Szenario, das an die Ästhetik des Reality-TV erinnert – nicht als Affirmation, sondern als analytische Strategie. Die Sprache: sarkastisch, hyperbolisch, durchsetzt von satirischen Attacken, die ihre Sprengkraft aus der Übertreibung gewinnen. „Deutsche Bäume sind so Nazi.“ Seite 215. Ein Satz, der auf den ersten Blick absurd wirkt, in seiner Groteske jedoch Mechanismen der kollektiven Gedächtnispolitik freilegt. Die Pointe ist hier nicht Entlastung, sondern Provokation. Nandi legt die Empfindlichkeiten einer Mehrheitsgesellschaft offen und konfrontiert sie mit den blinden Flecken ihres Universalismus, was kräftig polarisiert.

Unter der grellen Oberfläche verhandelt der Text zentrale Diskurse der Gegenwart: strukturelle Frauenarmut, intersektionale Ungleichheit, Alltagsrassismus. Er artikuliert feministische Forderungen nicht als Thesen, sondern in dramatischer Zuspitzung: „Frauen sollen existieren dürfen.“ Seite 157. Was schlicht klingt, erweist sich als radikal, verweist es doch auf die fundamentale Verweigerung elementarer Rechte, die in einer saturierten Gesellschaft gern als gesichert gilt. Es geht um Räume: physische, finanzielle, emotionale. Räume, die Frauen brauchen, um sich zu schützen, um nicht zu zerbrechen.

Single Mom Supper Club ist kein „Unterhaltungsroman“ a la Küchenschlacht oder Jamie Oliver kocht. Er ist ein hybrides Konstrukt aus Satire und Sozialanalyse, aus Groteske und politischem Kommentar. Nandi schreibt aus der Position der Betroffenen – als alleinerziehende Expat –, ohne in autobiografische Selbstbespiegelung zu kippen. Ihre Figuren sind Karikaturen und damit nicht unbedingt nahbar oder gar sympathisch. Sie polarisieren extrem, tragen die Ambivalenz einer Existenz, die zwischen Überlebensnotwendigkeit und Selbstbehauptung oszilliert.

Jacinta Nandi gelingt ein Text, der durch kalkulierte Überzeichnung ein Gesellschaftspanorama entwirft – radikal in der Form, sarkastisch im Ton, analytisch im Kern.

Nicht unbedingt Everybody‘s darling. 

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