„Kein schöner Land in dieser Zeit, als hier das uns‘re weit und breit, wo wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit…“
Mit Schlehengrund legt Anna-Maria Caspari den letzten Teil ihrer eindrucksvollen Eifel-Trilogie vor.
Er handelt von den Bewohnern des zerstörten Dorfes Wollseifen und zeichnet ein berührendes, atmosphärisch dichtes Zeitbild der 1950er und 1960er Jahre in Westdeutschland.
Im Mittelpunkt steht Johanna Lintermann, eine junge Bäuerin, die nach dem Verlust ihrer Heimat Wollseifen mit ihrem Sohn Rolf und ihrem Schwiegervater Albert und dessen Freundin Leni ganz von vorn beginnen muss.
Ihr Mann Karl ist noch in Kriegsgefangenschaft.
An einen Wiederaufbau ihres Dorfes ist nicht zu denken. Wollseifen besteht nur noch aus Ruinen. Dann wird der Ort zum Sperrgebiet erklärt und zum Truppenübungsplatz der Belgier.
Die Familie Lintermann findet im Dorf Empken einen neuen Hof auf dem sie von vorn beginnen müssen, das alte Leben scheint weit entfernt. Zum Glück kann Alberts Schwägerin Hedwig Geld zusteuern. So geht’s ihnen besser als manch anderen Kriegsvertriebenen.
Caspari gelingt es meisterhaft, den Neuanfang nach dem Krieg in all seiner Ambivalenz darzustellen: der Wiederaufbau einer neuen Existenz in einer zerstörten Welt, das Bemühen um Gemeinschaft, das Festhalten an Erinnerungen.
Besonders eindrucksvoll ist das Lokalkolorit: Kino, Musik und Politik der 50er/60er Jahre – von Hildegard Knefs „Die Sünderin“, „Rosen für den Staatsanwalt „ bis zur frühen Adenauer-Ära – dem Prager Aufstand, den Studentenunruhen und dem Bau der Mauer weben sich wie selbstverständlich in den Alltag der Figuren ein. Das Buch wirkt dadurch nicht nur authentisch, sondern dokumentiert über das Tagebuch von Emil Schlösser das Zeitgeschehen.
Zugleich spart Caspari die Schatten der Nachkriegszeit nicht aus. Die Entnazifizierung, die oft nur halbherzig betrieben wurde, wird in vielen Figuren exemplarisch sichtbar. Alte Seilschaften bleiben bestehen, während die wahren Träger des Wiederaufbaus – vor allem die Frauen – in ihre alten Rollen zurückgedrängt werden. Frauen, die in Kriegszeiten selbstbewusst und unabhängig ganze Betriebe geführt haben, werden erneut an Heim und Herd verbannt, abhängig vom Einverständnis ihrer Ehemänner.
Schlehengrund ist mehr als ein Heimatroman – es ist ein Sittengemälde, ein Stück Erinnerungsarbeit und eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Caspari erzählt ruhig, aber eindringlich, mit großer Empathie für ihre Figuren. Dabei wird nichts verklärt: Der Schmerz über das verlorene Wollseifen ist allgegenwärtig – ebenso wie der zähe Wille, trotz allem weiterzumachen.
Ein beeindruckender Abschluss einer Trilogie, die Geschichte erfahrbar macht – persönlich, politisch und poetisch.