„Im Anadraco kaufte ich mir ein Stück Parmigiano Reggiano, 48 Monate gereift, weil ohne Käse verreise ich nicht, dachte ich.“ Seite 17
Caspar María Russos Debütroman Prinzip Ungefähr ist ein Stück Gegenwartsliteratur, das mit Wucht in die Wirklichkeit junger urbaner Existenz crasht, ein ständiges Hin und Her zwischen Absurdität und schmerzlicher Intimität.
Ich-Erzählerin Masha, eine Studentin aus der Provinz, will in Wien Medizin studieren, doch neben dem Abtauchen in Anatomie-Skripte, seziert sie erstmal die Datinglandschaft – Tinder, Bumble, Hinge.
Ohne Erfolg, wie sie lakonisch feststellt.
Dann, im ICE 29 hinter Regensburg – natürlich mit Verspätung – begegnet sie Iggy. Ein cineastisch angehauchter Slacker mit Hang zur Abwesenheit. Der Typ, über den alle reden, aber der nie auftaucht – Godot mit iPhone und Sammelleidenschaft für Filmszenen im Kopf.
Die Liebesbeziehung zwischen Masha und Iggy spielt sich ab wie ein dialogisches Tindergespräch mit literarischem Anspruch: viel Ironie, wenig habhafte Substanz, aber voller Wahrheiten.
Die Sprache? Voller Neologismen, irgendwo zwischen Wiener Beisl, Philosophie-Seminar und feministischer Telegramgruppe.
Der Erzähler nennt Masha’s Verhältnisse „Updatefreundschaften“ und sexualisiert alles außer Armin Laschet – ihre Selbstreflexion ist messerscharf, aber nie eitel. Ein bisschen so, als würde man einer sehr klugen, sehr müden Studentin beim Gedanken-Pingpong zuschauen, während sie sich Zigaretten von Mitbewohnern schnorrt und dabei über Beziehungsmodelle nachdenkt.
Der Roman lebt vom Ungefähren. Von Halbsätzen, Andeutungen, Überraschungen, der Sprachlosigkeit zwischen zwei Menschen, die eigentlich etwas sagen wollen, aber nie den richtigen Ton finden. Trotzdem ist da eine Art Verbindlichkeit. Eine Wärme im Oberflächlichen. Zwischen Parmesan und Kapitalismuskritik, Exfreunden, desolaten Familien und geklauten Weinflaschen entsteht etwas Echtes: eine Beziehung, die sich dem Begriff entzieht.
Prinzip Ungefähr ist ein chaotisches, kluges, unperfektes Buch – wie ein Gespräch um 3 Uhr morgens, das eigentlich nichts löst, aber alles berührt. Wer klare Plotstrukturen, oder gar ein filmmäßiges Happy End erwartet, wird enttäuscht. Aber wer bereit ist, sich auf eine ästhetisch leicht verrohte, inhaltlich feinfühlige Achterbahnfahrt einzulassen, findet in Masha und Iggy zwei Figuren, die den Nerv ihrer Generation treffen.
Caspar María Russo gelingt ein Erstlingswerk, das sich dem eindeutigen Urteil entzieht – genauso wie seine Protagonisten. Vielleicht ist das das neue Glück: das Ungefähre als Prinzip.