„Meisterwerk“ von Aligéidar Tagiev

„Und wohin schaut Gott?“ Seite 21

Der Dichter Tagiev schildert den Lesenden in seinem Vorwort seinen Lebensweg. Dieser ist geprägt von Armut, familiärer Gewalt und Ausgrenzung. Aber auch von Mutterliebe, Stärke und dem Glauben an sich selbst.

Diese Erfahrungen spiegeln sich in Tagiev’s Gedichten wieder. 

Der Gedichtband „Meisterwerk“ bewegt sich zwischen den Polen von tief empfundener Liebe und rebellischer Provokation. 

Die Liebesgedichte des Autors sind von Empathie geprägt – sie scheinen direkt aus dem Herzen zu fließen und treffen den Lesenden mitten ins eigene Gefühlserleben. 

Wir 

Können wir nicht einfach die Liebe loslassen? 

Die Geschenke und Träume zurückgeben, 

Nicht herausfinden, wer schuld hat, 

Gestehen, dass so selten 

Das Wort „Wir“ erklang.

Ihre Stärke liegt in der ehrlichen, fast schon ungeschönten Emotionalität, die berührt, ohne sentimental zu sein.

Gleichzeitig beeindruckt das Werk mit seiner kritischen Haltung gegenüber institutionellen Dogmen, insbesondere gegenüber der Kirche. Die Gedichte opponieren nicht bloß, sondern laden zum Nachdenken ein, indem sie den Leser ermutigen, Fragen zu stellen und die Rolle von Glaube und Institutionen im eigenen Leben zu hinterfragen.

„Und wohin schaut Gott?“ Seite 21 fragt der Autor schon im Vorwort.

Das häufige Spiel mit dem Begriff der ‚Seele‘ mag auf den ersten Blick inflationär erscheinen, doch entfaltet es bei genauerer Betrachtung eine poetische Vielschichtigkeit. Die ‚Seele‘ wird hier immer wieder neu beleuchtet, als verletzlicher, liebender, aber auch kraftvoll rebellischer Kern des Menschseins. 

Die Kombination aus liebevoller Empathie, spiritueller Reflexion und scharfsinnigem Widerspruch macht diesen Gedichtband zu einem Werk, das sowohl das Herz als auch den Verstand anspricht – ein Gedichtband für alle, die Poesie als Mittel zur Selbst- und Welterkundung schätzen.

Mir haben besonders die Gedichte:

„Märchen“ S. 39,

„Lehrt mich nicht“  S.47,

„Begegnungen“ S.48 und 

„Falsche Leute“ S. 52 gefallen

Lehrt mich nicht

Lehrt mich nicht, wie ich leben soll, 

Lernt es zunächst selbst, 

Niemals jemanden zu richten, 

Werft keine Steine in mein Nest.

Lehrt mich nicht, wie ich leben soll, 

Lernt es zunächst selbst, 

Drängt niemals jemanden,

Der in der Erwartung vergeht.

Lehrt mich nicht,

Lernt es zunächst selbst.

Märchen

Möchtest du, ich lese dir ein Märchen vor,

Bei Kerzenschein, so sanft, so leise,

Mit Worten will ich dich berühren,

Durch prächtig Stille der Nacht

auf unsere Weise.

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