„Die Routine ist der Feind der Aufmerksamkeit.“ Seite 89
Wer hätte gedacht, dass selbst der Fürst der Finsternis einmal einfach nicht mehr kann? In Luzifers Burnout von Alex Flach begegnen wir dem Teufel nicht in Fegefeuerpose mit Dreizack und Höllenqual, sondern erschöpft, desillusioniert – schlicht: mit Burnout. Die Erkenntnis, dass sich das menschliche Verhalten auch ohne sein Zutun in nichts bessert, ist für Luzifer nicht nur frustrierend, sondern existenziell. Er sieht sich zum Sabbatical gezwungen, bevor Gott ihn aus dem Jenseits streicht wie eine überflüssige Datei aus einem überladenen Himmels-Archiv.
Was folgt, ist eine ebenso amüsante wie tiefgründige literarische Tour de Force zwischen Himmel, Hölle und Erde, gewürzt mit einer gehörigen Portion Ironie, Sprachwitz und religionsphilosophischer Finesse.
Luzifer mischt sich unters irdische Fußvolk, gönnt sich Pizza, Trash-TV, Alkohol und gelegentliche Körperkontakte – wie erbärmlich, wie menschlich, wie köstlich unterhaltsam. Die Selbstfindungsreise des Satans liest sich wie eine Mischung aus göttlicher Komödie und moderner Selbsthilfelektüre – nur ohne moralisierenden Zeigefinger, dafür mit schwarzem Humor und scharfer Beobachtungsgabe.
Alex Flach entwirft in seinem Roman nicht weniger als ein eigenes Jenseitsmodell: Die Hölle, ein normierter Albtraum im DDR-Grau der Plattenbauten – mit überfüllten Bussen, ewigem Nieselregen und Büroarbeit, die sich anfühlt wie ein nie endender Montagmorgen. Die Himmelspforte hingegen: barock, golden, überladen – ein karikierter Ort der Glückseligkeit, der sich erstaunlich flexibel den Wünschen seiner Bewohner anpasst. Kein Harfenspiel auf Wolken, sondern All-Inclusive mit Rembrandt, Lagerfeld und Johanna von Orléans im künstlerischen Dauerresidenzprogramm.
Besonders reizvoll ist Flachs souveräner Umgang mit der biblischen Überlieferung. Mit kenntnisreicher Respektlosigkeit und einem agnostischen Augenzwinkern zitiert und hinterfragt er zentrale Figuren und Ereignisse der christlichen Mythologie. War Judas wirklich ein Verräter oder nur ein göttlich eingeweihter Schauspieler? Hatte Jesus Vorwissen über seine Unsterblichkeit? Und wusste Leonardo da Vinci mehr, als er preisgab? Der Autor webt spekulative Theologie, Philosophie und Popkultur geschickt zusammen – und zeigt dabei: Der Glaube ist nicht heilig, sondern menschengemacht. Und damit fehlbar.
Auch mit der katholischen Kirche wird abgerechnet, besonders dort, wo sie versagt hat: im Umgang mit Missbrauch, im Festhalten am Zölibat, im moralischen Hochmut. Gott selbst, eine Randfigur mit lakonischer Klarheit, erklärt den Zölibat kurzerhand zur menschlichen Erfindung und wäre nicht abgeneigt, diesen Fehler zu korrigieren. Die Engel – nicht minder fehlerbehaftet – glänzen mit Eitelkeit, Chauvinismus und Midlife-Crisis. Das Himmelreich, so zeigt Flach, ist keine Welt der Perfektion, sondern ein Spiegel menschlicher Ambivalenzen.
Was Luzifers Burnout so lesenswert macht, ist nicht nur seine originelle Grundidee, sondern die sprachliche Leichtigkeit, mit der Alex Flach schwergewichtige Themen jongliert: Schuld, Moral, Freiheit, göttlicher Plan und menschliches Scheitern. In jeder Seite steckt ein Funke Satire, ein Tropfen Wahrheit – und manchmal ein ganzer Schuss Melancholie. Denn bei aller Komik wird klar: Die Frage nach Gut und Böse ist keine metaphysische, sondern eine zutiefst menschliche. Gott liebt nicht alle Menschen bedingungslos, Luzifer hasst sie nicht aus Prinzip – die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Und vielleicht, so suggeriert das Buch, sind wir Menschen unsere eigenen Götter und Teufel zugleich.
Der Tod, übrigens, trägt Sombrero. Kein Detail, das man leicht vergisst.
Und wer bis zum Ende durchhält, wird nicht nur mit klugen Einsichten, sondern auch mit einem Rezept für einen „Satansbraten“ belohnt.
[…] „Dieser Band ist keine späte Gedenkplatte, sondern ein Monsterbrillant aus dem Tiefsee‐Schatz der deutschsprachigen Literatur: 15 Geschichten, die zeigen,…