„Es geht nett de Reih nach.“ S. 155
Ein Prosadebüt auf Risiko – tragikomisch versichert durch alle Lebenslagen.
Oder Coming of age zwischen Versicherungen.
Die Erzählerin ist 34, aber erzählt aus einer kindlichen Perspektive. Und das ist keine Schwäche, sondern Stilmittel: So werden Sprachmuster entlarvt, die sich in Generationen wiederholen wie Versicherungsprämien. So klingt ein Trauma, das versichert sein möchte, aber keinen Tarif findet.
Das Geschäft mit der Angst ist ein Generationending, denn nach den Großeltern steigen auch die Eltern ein in den Handel mit Policen.
Versichert ist hier fast alles: Haus, Auto, Hund – nur das Herz bleibt, wie so oft, schutzlos.
Kathrin Bachs Prosadebüt Lebensversicherung ist kein klassischer Roman, sondern ein Sammelordner emotionaler und tatsächlicher Schadensfälle.
Schon früh lernt man: Die Wohngebäudeversicherung schützt das Dach über dem Kopf, aber nicht das, was darunter passiert.
Kapitelweise durchblättert man ein Leben, das zugleich staubtrocken versichert und still erschüttert ist. Ein Buch, das aussieht wie eine Beilage zum Geschäftsbericht, sich aber liest wie die fein ziselierte Chronik einer Kindheit in der deutschen Provinz.
Wer in einem Dorf aufwächst, in dem 90 Prozent der Menschen, Tiere und Häuser bei den eigenen Eltern versichert sind, lernt früh: Das Unglück ist nie weit, aber gut kalkuliert.
Zwischen Grüßen wie
Gude!
Gude!
beginnen und enden Dorfgespräche.
Wir erleben Familienrituale im Format von Minidialogen voller Komik und Ungesagtem.
Bach gelingt das Kunststück, mit zwei Sätzen mehr zu erzählen als mancher Roman auf 500 Seiten.
„Na ihr Urlauber?” –
„Na.”
Das genügt, um eine ganze soziale Topografie aufzuspannen.
Die Struktur des Buchs folgt dabei der inneren Ordnung des Versicherungswesens: Sachlich, klar gegliedert, regelmäßig unterbrochen von blau abgesetzten Textkästen mit Titeln wie Feuerversicherung, Berufsunfähigkeit, Haftpflicht.
Danach folgt jeweils ein kleiner Fallbericht aus dem echten Leben – mal tragisch, mal absurd, manchmal beides.
Die Kapitel sind kurz, fast stichpunktartig – Faktenchecks des Familienlebens, modular erzählt, illustriert mit Piktogrammen. Ein Mikrokosmos, der in seiner Banalität poetisch wird, einfach weil er sich nicht mehr bemüht als nötig.
Das Jahrzehnt ist klar: irgendwo zwischen den 1990ern und einem kollektiven Erinnerungsnebel aus Neonfarben, Diabetiker-Schokolade und Berufsberatung. Zeitgeschichte schleicht sich ein – als Satellitenbilder des Elends: Lady Di’s Tod, der 11. September, das Berufsleben des Vaters, das sich zwischen Diagnose und Erwerbsunfähigkeit verheddert.
Fazit: Tragikomik mit Selbstbehalt
Lebensversicherung ist kein Roman zum schnellen Durchlesen. Es ist ein Prosadokument voller Absurditäten, Schrulligkeiten und leiser Tragik. Man wird beim Lesen regelmäßig innerlich nicken – mit einem Gefühl, das irgendwo zwischen Mitversicherung und Mitgefühl liegt.
Ein Buch wie ein Versicherungsfall: unklar, ob es jetzt ein Schaden oder ein Gewinn ist – aber auf jeden Fall meldepflichtig.