Zwischen Skalpell und Skizzenblock – Niko Pross’ Zeitreise in Postkartenform
Es gibt Menschen, in denen wohnen zwei Seelen, nicht nebeneinander, sondern ineinander verschlungen wie zwei Strömungen, die sich gegenseitig Klarheit schenken. Niko Pross ist einer von ihnen.
Tagsüber war er jener entschlossene Mediziner aus der robusteren, chirurgischen Fraktion, der mit sicherer Hand in die Tiefen des menschlichen Körpers vordrang.
Doch kaum aus dem antiseptischen Kittel geschlüpft, übernahm seine zweite Natur das Regiment: die des Künstlers mit der Liebe zum Maritimen, der mit stoischer Geduld millimetergroße Details in große Schiffsmodelle einpasste und der, fast nebenbei, mit sparsamen Linien und unverblüffter Treffsicherheit Menschen, Stimmungen und Situationen auf Papier bannte.
Nun liegt ein kleiner Bildband vor, der diese Seite seiner Begabung ins Rampenlicht stellt.
Herausgegeben hat ihn Frau Professor Sutter-Bihl, Chefin des kleinen, charakterstarken Unken-Verlages.
Mit Pross verband sie nicht nur ein gemeinsames Studium, sondern eine jener seltenen, lebenslangen Freundschaften, die sich nicht laut bemerkbar machen müssen, um tief zu sein.
Jahr für Jahr flattert ihr deshalb ein besonderer Gruß ins Haus, eine von Pross persönlich gestaltete Jahresendzeitkarte auf der er private Erlebnisse oder bewegenden Momenten der Weltgeschichte darstellt.
Die Verlegerin stellte sich irgendwann die Frage, die wohl jeder Idealist kennt: Sollten diese feinen Miniaturen nicht veröffentlicht werden? Wer soll das lesen? Wer blättert durch ein Büchlein voller „bester Grüße“?
Die Antwort gibt das Buch selbst, Seite für Seite.
Denn Pross’ Karten sind keine Grüßkärtchen, sondern aussagekräftige kleine Kunstwerke. Mit feinem Strich, oft humorvoll, manchmal melancholisch, poetisch oder politisch, fängt er die Jahre ein.
Dazu liefert ein geschichtlich komprimierter Abriss Einordnung und Fundament zugleich.
Ein kurzer, präziser Blick auf das, was die Welt in eben jenem Jahr bewegte.
So entsteht ein doppelter Genuss: Kunst und Geschichte im Taschenformat, ein persönliches historisches Bilderbuch, das die Zeit zwischen 1988 und 2024 auf eine Weise abbildet, die offiziöse Chroniken niemals erreichen: nah, warm, subjektiv und persönlich.
Man blättert, und plötzlich erinnert man sich: an Jahre, die schon hinter uns liegen, an Stimmungen, wir kehren an die Plätze von einst zurück, die sich nun auf einer Postkarte verdichten.
In einer Epoche, die Bilder im Sekundentakt produziert und sie ebenso schnell wieder verschluckt, ist dieser Band ein Archiv der Aufmerksamkeit.
Ein Freundschaftsbeweis in gedruckter Form. Und vor allem: ein kunstvoller Beweis dafür, dass Privates und Zeitgeschichte sich gegenseitig erhellen können, wenn jemand wie Niko Pross sie mit sicherer Hand zeichnet.



[…] „Dieser Band ist keine späte Gedenkplatte, sondern ein Monsterbrillant aus dem Tiefsee‐Schatz der deutschsprachigen Literatur: 15 Geschichten, die zeigen,…