„Frauen — Die neuen „Jäger“ von Reinhard Pieske

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„Frauen sind aber schneller und konsequenter als Männer!“ Seite 243

Frauen sind wunderbar. So überschreibt der Autor Reinhard Pieske seinen Kurzgeschichtenband „Frauen – Die neuen Jäger – und zumindest darin kann ich ihm absolut beipflichten.

Der Autor legt in dem Band 60 Kurzgeschichten vor, die sich allesamt um den Protagonisten Georg drehen – einen weißen Mann, der sich in Laufe seines Lebens durch Ehe und Datingwelt bewegt und dabei vor allem auf eines aus ist: die Erfüllung seiner sexuellen Wünsche. 

Die Geschichten zeichnen ein konsequent einseitiges Bild männlicher Begehrlichkeit, bei dem die Frauen primär als Projektionsflächen erotischer Fantasien erscheinen.

Das Vorwort stellt mutig die These auf, dass die Zukunft der Menschheit weiblich ist. Das es ein Erstarken der Frauen gibt, was sich in ihrer zunehmenden Präsenz in Führungspositionen, besserer Bildung und sexueller Selbstbestimmung manifestiert.

Ich halte dies, nach dem Lesen des Buches, für einen reinen Image-Prolog. 

Zwar ist es interessant, die Frau aus der Sicht eines Mannes zu sehen aber mussten frau das nicht schon immer?

Der Protagonist Georg reduziert seine Sicht auf Frauen erst einmal auf körperliche Attribute: kurvige Hüften, große Augen, Schmollmund, lange blonde Haare. Es sind die Klischees der männlich geprägten Populärkultur, die hier zum Auswahlkriterium für einen Wisch auf der Dating-App werden. Die Inhalte der Frauenprofile oder ihre Persönlichkeiten bleiben weitgehend unbedeutend – das Begehren ist oberflächlich, impulsiv und oft von kurzer Dauer.

Die Texte liefern zudem eine gewisse Ambivalenz in der Darstellung weiblicher Sexualität. Frauen lieben Sex, heißt es da, und sie wissen ihn als Machtinstrument zu gebrauchen. Diese Feststellung ist nicht grundsätzlich falsch, wirkt aber im Kontext des Buches oft reduziert und instrumentalisierend.

Die Idee, dass sich darin ein neues Matriarchat abzeichnet, wie der Erzähler vermutet, bleibt spekulativ und überspitzt – sexuelle Selbstbestimmung ist nicht gleichbedeutend mit Machtübernahme.

Der Autor Pieske beschreibt Georgs Erlebnisse mit einem pointierten, manchmal ironischen-humoristischen Tonfall. 

Doch trotz einzelner Reflexionsmomente bleibt die männliche Perspektive dominant und hinterfragt sich selten ernsthaft.

Man kann sie als zeitdiagnostisches Dokument lesen – als Spiegel einer Generation von Männern, die mit veränderten Rollenbildern hadern, sich aber nur bedingt weiterentwickeln. Die literarische Form – kurze, oft pointierte Episoden – unterstützt diesen Eindruck. 

Sie erlaubt eine gewisse Schärfe in der Beobachtung, bleibt aber insgesamt auf der Oberfläche. Tiefergehende psychologische oder gesellschaftliche Analysen werden angedeutet, aber selten ausgeführt und waren vielleicht auch nicht gewollt.

„Frauen“ ist damit weniger ein Buch über Frauen als ein Bericht über männliche Projektionen. Ob das genügt, um ein differenziertes Bild moderner Geschlechterbeziehungen zu zeichnen, bleibt fraglich.

Zumal, um im Bild der Jagd zu bleiben, die Zahl der weiblichen Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland  im Jahr 2023 auf 180.715 gestiegen ist, was einem Anstieg von 5,6 % gegenüber dem Vorjahr entspricht, der nicht rückläufig ist.

Auch Sexualstraftaten gegen Frauen nahmen um 6,2 % zu, mit insgesamt 52.330 registrierten Fällen. Besonders alarmierend ist die Zahl der Femizide: 938 Frauen wurden 2023 Opfer versuchter oder vollendeter Tötungsdelikte, davon starben 360.   

Die These „Die Zukunft ist weiblich“ ist damit für mich provokant und symbolisch gemeint – und als gesellschaftspolitischer Impuls zu verstehen, nicht als Beschreibung eines Ist-Zustands.

Wenn sie ernst genommen wird, fordert sie dazu auf, systemische Ungleichheiten aktiv zu hinterfragen – nicht zugunsten eines „Matriarchats“, sondern im Sinne tatsächlicher Geschlechtergerechtigkeit.

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