„Wer die Vergangenheit permanent in Frage stellt, wird mit der Gegenwart kaum zurechtkommen „. Seite 223
Britta Röder wirbelt in Fliehkraft sieben Erzählungen durcheinander, die eins gemeinsam haben: Sie holen ihre Figuren aus dem Zentrum ihres Alltags, schleudern sie an den Rand und zwingen sie, mal einen anderen Blick auf das eigene Leben zu werfen oder es zu ändern.
Ganz wie die titelgebende Zentrifugalkraft – eine scheinbare Kraft, die nur dann wirkt, wenn man selbst im Karussell sitzt. Und das tun die Protagonistinnen und Protagonisten dieser Geschichten definitiv.
Besonders charmant (und ein bisschen bitter) gelingt das gleich in der Erzählung „Hochzeitstag“.
Ein Festessen wird als Bühne für die große Abrechnung nutzt. Die Erzählerin kocht, serviert, erinnert – und während der Braten schmort, zerbröselt das Bild einer Ehe, das eigentlich schon lange nur noch Dekoration war. Spätestens bei dem Satz „Und Liebe ist mehr, als dass der eine kocht und der andere die Suppe auslöffelt.“ (S. 9) weiß man: Hier köchelt mehr als nur Gemüse.
Ingrid, die Hauptfigur, erkennt mit zunehmender Klarheit, dass Horst – ihr Ehemann – nicht nur lieblos, sondern auch herablassend ist.
Dass sie sich an Frank, dem Mann ihrer besten Freundin Henni schadlos gehalten hat, weil ihr Horst ein lausiger Liebhaber ist, ist moralisch sicher fragwürdig.
Doch Horst kommentiert das Ableben seines Bekannten Frank – von der Liebhaberei wusste er nichts- mit dem Satz : „Ein Arschloch weniger“.
Dies verschafft dem Gatten Horst seinen eigenen moralischen Bankrott. Horst’s Herzinsuffizienz ist wohl nicht nur medizinisch, sondern auch charakterlich gemeint.
In Ingrid entflammt der Hass – doch Röder ist zu clever, um so einfach Blut fließen zu lassen. Stattdessen wartet sie mit einer aberwitzigen Idee auf.
So sind viele der Geschichten in diesem Band: mit leichter Hand erzählt, aber mit scharfem Blick für menschliche Abgründe. Ein bisschen fies, ein bisschen lakonisch, manchmal sehr tief (Tante Trude) – und manchmal einfach ein Fest für alle, die sich für die feinen Risse in der bürgerlichen Fassade interessieren.
Man schmunzelt, man spürt eine Prise Schadenfreude, man fühlt sich ertappt. Und vor allem: wunderbar unterhalten.
Fazit:
Fliehkraft ist ein literarisches Karussell, das seine Figuren – und uns als Leser – mit wohldosierter Geschwindigkeit aus der Bahn wirft. Es ist genau die Art von Lektüre, bei der man sich ertappt fühlt, laut zu lachen – obwohl es eigentlich gar nicht so lustig ist. Und das ist ein großes Kompliment.