„Zeit tropft durch den Zug direkt auf die Schienen, als wäre er undicht.“
Der Himmel verdunkelt sich langsam und schwere Wolken ballen sich am Horizont zusammen. Eine bedrohliche Stimmung liegt in der Luft und dumpfes Grollen hört man von ferne.
Ein Gefühl der Schwere breitete sich im Körper aus und umhüllt ihn mit einer düsteren Aura. Man hält den Atem an und wartet.
Worauf? Darauf was in Malma geschah? Auf das Ende einer Reise zu den Anfängen einer Schicksalsspirale von Vater und Tochter Harriet, Oskar und seiner depressiven Ehefrau oder der Alleinreisenden Yana.
Sie alle fahren durch die Sommerlandschaft Schwedens. Fremde im Zug, deren Schicksale untrennbar verflochten sind.
Ein Gespinst aus Trennung, Verletzung, ohnmächtiger Wut und Angst umgibt sie, sie alle, die doch gern alles durchdringen würden um frei zu sein, frei und beherrschend wie der König der Lüfte.
Harriet, das Kind, dass sein Ungewolltsein durch die Küchenwand hört. Die Eltern trennen sich und beschließen auch die Töchter Harriet und Amelia zu trennen. Doch mit Harriet haben die Eltern keine Wellenlänge. Was das bedeutet versteht sie nicht. Sie versteht nur, dass der Vater verloren hat und sie, das ungeliebte Kind, behalten muss.
Oskar, dem diese Reise aufgezwungen wurde von seiner Frau, die ihn nicht mehr liebt, die ihm entgleitet. Er sitzt ihr wortlos gegenüber, erinnert sich an den Beginn ihrer Beziehung, als es noch ein Lachen zwischen ihnen gab. Als sie eine Familie waren und er sich noch nicht frage, wann man ein Kind verliert.
Yana, die ein Fotoalbum auf ihren Knien balanciert, dass der Vater ihr hinterlassen hat nach einer Kindheit voller Schweigen. Das Lachen hatte die Mutter mitgenommen nach einem Streit der Eltern, der sich für Yana anhörte, wie das Geschrei von Gefangenen die rauswollen. Und dann die Stille, wenn sie begriffen haben, dass es kein herauskommen gibt. (Seite 147)
Schon der Einstieg in dieses Buch ist Alex Schulman virtuos gelungen. Die Charaktere entfalten sofort eine starke Präsenz, die den/die Leser*in nicht nur die Verletzlichkeit einer Kinderseele spüren lässt.
„Die Kindheit ist eine unbegreifliche Installation, genau wie ein modernes Kunstwerk. Sinnlos und überflüssig. Man möchte die ganze Scheiße am liebsten zertreten.“
Unfassbar diese melodische Wort-Akrobatik Schulmans:
„Sie folgt mit dem Blick einem Stromkabel, wie Wellen geht es über die Felder. Zwischen zwei Masken bildet das Kabel ein Lächeln auf das noch eins folgt. Und noch eins.“
Ein literarisches Meisterwerk mit einer dunklen, ergreifenden Poesie. Schulman scheint eine Satzskizze zu fertigen, die sich sofort im Kopf festsetzt, ihn besetzt und festhält. Eine sprachliche Schönheit, wie sie mir lange nicht mehr untergekommen ist.
Hier möchte ich mich schon jetzt festlegen und es zu meinem persönlichen Jahres-Highlight küren.
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