„Das Verschwinden“ von Sandra Newman

„Das Jahr war so lang, es war ein Leben im Leben. Es endete mit dem Tod.“ Seite 82

Sandra Newmans Roman Das Verschwinden beginnt mit einer ebenso radikalen wie faszinierenden Prämisse: Über Nacht verschwinden alle Männer, Jungen, ja sogar männliche Föten von der Erde. Was folgt, ist das Porträt einer Welt, in der Frauen unter sich bleiben – mit allen daraus resultierenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen.

„Ein Objekt männlicher Begierde sein. Vorbei.“ S.9

Die Grundidee ist nicht neu. Newman greift auf das Konzept von Philip Wylies The Disappearance (1951) zurück, interpretiert es jedoch aus feministischer Perspektive neu. Der Anfang des Romans ist kraftvoll: Katastrophenbilder von abstürzenden Flugzeugen, brennenden Städten und gesellschaftlichem Zusammenbruch erzeugen ein eindrückliches Szenario. Auch das Gedankenexperiment, wie eine rein weibliche Gesellschaft aussehen könnte, ist zunächst anregend.

Doch leider bleibt es nicht dabei. Im weiteren Verlauf verliert der Roman spürbar an erzählerischer Klarheit und Spannung. Newman scheint viel zu wollen – zu viel. Die Handlung zerfasert, die Chronologie wirkt zunehmend instabil, und zwischen einzelnen Elementen entstehen Brüche, die sich nicht logisch zusammenfügen. Der Einsatz rätselhafter Bilder – wie pferdegroßer Katzenwesen und starrer Männerfiguren – überfordert eher, als dass er zur Atmosphäre beiträgt. Anstatt Spannung aufzubauen, entsteht Verwirrung.

Hinzu kommt eine Vielzahl von Nebenhandlungen und Figuren. Erzählstränge über Massensuizide, Videobotschaften und Parallelwelten werden angerissen, ohne erst einmal vertieft zu werden. Die zuvor packende Dystopie gleitet so zunehmend in eine theoretisch anmutende Fallstudie ab, in der das Narrativ zugunsten ideologischer und symbolischer Überfrachtung ins Hintertreffen gerät.

Auch genremäßig bleibt der Roman unentschieden. Zwischen Mystery, Science Fiction, feministischer Utopie und psychologischem Horror entsteht ein erzählerischer Spagat, der , meiner Meinung, nicht aufgeht. Was als origineller Gesellschaftsentwurf beginnt, endet in einem erklärlastigen, fragmentarischen Konstrukt, das vieles andeutet, aber wenig überzeugend zu Ende denkt.

Am Ende hinterlässt Das Verschwinden vor allem eines: Ratlosigkeit. Trotz interessanter Ausgangsidee und durchaus starker Passagen gelingt es Newman nicht, den roten Faden durchzuhalten oder eine klare Vision zu vermitteln. Die Ambition ist spürbar – das Ergebnis jedoch bleibt hinter den Möglichkeiten zurück.

🐸 Mehr Rezensionen: ,
Es sind keine Kommentare vorhanden.