„Blutbuch“ von Kim de L‘Horizon

„Blutbuch“ von Kim de L‘Horizon

„Der Tag strauchelt durch das knappe Abendlicht“.

Ein Buch, atemlos schmutzig schnell und direkt geschrieben . Wort und bildgewaltig mit geschenderter Sprache ist es über mich gekommen.

Blutbuch – Ringel Ringel Reihe im Kontext der Wut, atemlos, direkt und mein erster Roman in Gendersprache. 

Auf meiner Netzhaut sind Bilder abgespeichert noch lange nachdem ich den Buchdeckel geschlossen habe. Mein Herz rast völlig verkopft. Ich stelle mir Kim’s Fragen, sind es nicht auch meine  Fragen? 

Sein Wortschwall hat mich weggespült, mich in das Auge eines Sturms gesetzt und ich versuche zu fassen was nicht fassbar ist, ein unfassbares Buch.

Ich habe mich verliebt in diese Sprachfülle. Kleine kurze Sätze bäumen sich groß vor mir auf, tasten meine Seele an und lassen ihre Fingerabdrücke darauf zurück.

Ein Satz zieht den nächsten nach sich, nimmt ihn an die Hand, umwirbt ihn. Es ist wie eines der Werke von Escher. Sätze voller perspektivischer Unmöglichkeiten und multistabiler Wahrnehmungsstörungen drängen sich aneinander.

Die Entscheidung Mann oder Frau wird zum schmerzhaften Prozess. Wechselseitig wird ein Geschlecht ausgekotzt um ein anderes zu sein. In bukowskischer Manier spielt Autor*in dabei heftig auf der Klaviatur Gay-Dur. 

Damit gibt mensch aber etwas raus, was mensch braucht um ganz zu sein. Weshalb müssen wir eindeutig blau oder rosa wählen, wird rosa oder blau für uns gewählt? Für andere, für das selbst um der ewigen Fragerei zu entkommen?

Überall ist Zorn und Kampf. Verletzungen passieren auf allen Seiten. Der Spalt dazwischen ist fluid. 

Kim’s Wörter kann man anfassen, über sie streicheln. Sie bekommen eine eigene Haptik und manchmal beißen sie einfach zu. Worte werden übereinander geschichtet, fast willkürlich. 

Jeder Wortziegel hat ein Eigenleben aber im Verbund verliert sich das Unikat und wird zum Haus, zu einem Geschichtenhaus in dem ich mich einrichten kann, Zuflucht finden oder Kälte.

Zwischen den Rückblicken in die Kindheit bricht immer wieder die Gegenwart durch. Ästhetische Ohnmacht, übersexualisierter Selbsthass, Ficklast statt Lust, setzen Schlaglichter und verblenden die Augen. 

Die Szenen im sind Wald-Rave verstörend und auf nüchternen Magen nicht ertragbar oder überhaupt nicht tragbar?

Das Buch ist für mich ein wortgewaltiger Versuch sich zu lösen, aufzusteigen wie Phönix aus der Asche zu den ungeahnten monetären Möglichkeiten der Selbstbestätigung, der Bestätigung von außen. Einem Dazugehören. Schreiben ist Verrat sagt Kim, der darin besteht über Gefühle zu schreiben die besser im Dunkel geblieben wären als sie nackt ans Licht gezerrt auf einem Blatt wiederzufinden. 

Zu Recht ist das Blutbuch der Gewinner der Deutschen Buchpreises 2022 und das nicht, weil vielleicht queere Minderheiten hip sind sondern weil dieser Roman großartig ist, eine sprachliche Bereicherung, die Welten öffnet und Anschauungen hinterfragt.

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