„Rückschau ist ein mächtiges Werkzeug“.
Das Buchcover von Chris aus dem Red Nose Studio ist absolut gelungen und lässt Assoziationen zum Fuchsbau der Familie Weasley aus Harry Potter zu. Wir sehen Häuser wie schiefe Bauklötze übereinandergestapelt und rechnen damit, dass dieser Turm gleich zusammenbricht. Um es vorwegzunehmen, das tut es nicht. Vor dem Haus steht der Motorroller von Hugo und im Hintergrund gibt es einen mystisch anmutenden Schatten.
Das Buch wurde aus dem Amerikanischen von Michael Pfingstl übersetzt. Er hat seine Sache bis auf eine Kleinigkeit gut gemacht. Und ich bin gespannt, ob sie Dir auffällt. Ich möchte nicht spoilern, um die Lust auf das Buch nicht zu verderben.
Allerdings zeigt sich das erste Problem für mich schon im Titel. Der Buchtitel heißt „Das Leben des Wallace Price“. Wallace ist im Roman die meiste Zeit tot.
Wallace Price ist Anwalt und wenn man seine Umgebung fragen würde, ein richtiges Arschloch. Mr. Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens scheint hier Pate gestanden zu haben. Doch statt der Ankunft der drei Geister zur Läuterung wird Wallace selbst zum Geist. Er stirbt, ohne zu merken, dass er gestorben ist. Wach wird er auf einer Beerdigung. Es ist seine eigene Beerdigung, die nur mäßig besucht ist und bei der seine Ex-Frau kräftig Dampf ablässt. Wallace begegnet hier seiner Sensenfrau Mei und wird von dieser in einen Teeladen eskortiert. Hier soll der Fährmann Hugo ihn an die unumstößliche Tatsache gewöhnen, dass er das Zeitliche mit dem Ewigen gewechselt hat.
Er lässt Wallace in dieser Zwischenwelt seine 5 Phasen der Trauer durchleben. Ich habe nachgeschlagen. Diese Trauerphasen sind real und wurden von Elisabeth Kübler Ross entdeckt, einer amerikanischen Psychiaterin und Sterbeforscherin, die später zu einer esoterischen Geistheilerin wurde.
Angeregt durch das Cover hatte ich mir für das Setting geniale Einfälle erhofft. Leider versandet es dann zwischen Teeküche und Ohrensessel. Schade, denn damit treibt der Autor die Geschichte in die Enge. Mein einziges Highlight war eine Toilette für nonbinäre Freunde. Müssen Tote auf’s Klo? Scherz, es gibt durchaus viele noch lebende Besucher in Hugos Teeladen.
Wird der erste Teil noch flott erzählt, so weist der zweite Teil einige Längen auf. Die endlosen Dialoge zwischen Hugo und Wallace in schöner Hobbypsychologen-Manier nerven aufgrund ihrer Eindimensionalität. Allgemeinplätze werden hier reichlich verbraten. Ein wenig Verständnis brachte mir hier der Epilog. Der Autor hat das Buch geschrieben, um den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten. Leider bringt seine Katharsis die Geschichte nicht voran.
Im Laufe des Buches mutiert Wallace vom Misanthropen zum Gutmenschen. Diese Wandlung blieb für mich nicht nachvollziehbar. Die Figur des Wallace war in keinen Hintergrund eingebunden und hing buchstäblich in der Luft. Wie er zu einem Menschenfeind wurde, wird kaum beleuchtet.
Ganz anders wird die Figur des Fährmannes Hugo dargestellt. Hier ist eine Annäherung des Lesers möglich, denn durch sein sympathisches Auftreten nimmt man ihn gern an. Auch Nelson und der Hund Apollo machen Freude und lockern den ersten und letzten Teil gewaltig auf.
Eine Liebesgeschichte entwickelt sich wie eine aufkeimende Pflanze. Zart und einfühlsam beschrieben, mit einem Blick fürs Detail. Der Autor nutzt dazu kleine unspektakuläre Bilder, die ans Herz gehen.
Was mir gut gefallen hat, waren einige tiefenpsychologischen Fragen, die das Buch aufwirft. Was macht einen guten Menschen aus? Auch der Versuch einer Annäherung an Schicksal und Gott den Allmächtigen über die Figur des Managers geht tiefer. Es wirft Fragen nach dem Sinn des Lebens auf. Das geführte Plädoyer, fast wie beim letzten Gericht, lässt Raum zum Nachdenken.
Ich bin Neuling im Bereich von Fantasieromanen. Das Buch hat einen gewissen Unterhaltungswert. Es gibt einige starke Momente, ob diese die Schwächen ausgleichen können, konnte ich für mich nicht positiv entscheiden.