„Vom Kranksein“ von Virginia Woolf

„Eine Menge Rattengenage in meinem Hinterkopf.“

Im Verlag Jung und Jung ist der 1926 erschiene Essay „On Being Ill“ in deutscher Übersetzung „Vom Kranksein“ erschienen.

In ihrem Essay „On Being Ill“ beklagt Virginia Woolf die Sprachlosigkeit der Literatur gegenüber der Krankheit. 

Es gehört zu den stillen Paradoxien der Literaturgeschichte, meint Woolf, dass die Liebe, der Tod und die Eifersucht ganze Bibliotheken füllen, während ein schlichter Schnupfen kaum ein Kapitel bekommt. 

Schon eine kleine Erkrankung genügt, um unsere inneren Bäume zu entwurzeln, doch in den großen Erzählungen bleibt sie das Stiefkind.

Der Geist, glänzend und ziseliert, wird gefeiert, der Körper, der ihn trägt, übergangen. Shakespeare hatte Tausende Worte für die Liebe, doch keines für Schüttelfrost. Die Menschheit kann lyrisch sterben, aber kaum husten, ohne die Würde der Kunst zu verlieren.

Woolf erfuhr am eigenen Leib, dass das Leiden des Körpers den Geist nicht einfach verdrängt, sondern verwandelt. 

Krankheit zwingt zur Einsamkeit, zu einem stillen Ausgesetztsein. 

„In der Krankheit gehen wir allein“, schreibst sie. Während andere in den Alltag marschieren, liegt der Kranke wie ein welkes Blatt auf dem Rasen und ahnt, dass die Natur am Ende gewinnt.

Die Sprache, sagt Woolf, versagt in diesem Zustand. Sie bleibt arm, weil sie nie gelernt hat, über den Körper zu sprechen.

Doch, fast hundert Jahre später, drängt sich dieses Stiefkind nach vorn. In der Gegenwartsliteratur (Bsp. „Junge Frau mit Katze“ oder „Haus zur Sonne“ ) hat sich die Krankheit längst in die Frontrow geschlichen. Der Körper, einst als störender Zwischenfall abgetan, spricht zwar endlich wieder, doch die Ausgrenzung, der fiebrige Blick, der die Welt verzerrt, hat in all der Zeit nichts von seiner verschobenen Wahrnehmung verloren.

Und vielleicht liegt genau darin Woolfs heimliche Modernität. Sie entlarvt die Krankheit als Zustand der Wahrheit.

Im Anschluss an den Essay finden sich Aufzeichnungen aus ihren Tagebüchern ab 1918 

Hier zeichnet Woolf ein stilles Protokoll des Rückzugs: kurze Grippen, Zahnschmerzen, monatelange Bettlägerigkeit. Die Krankheit trennt sie vom Schreiben, von ihrem Lebensstrom.

Zwischen Demut und Verzweiflung flackern Momente des Aufbäumens. Heute weiß man, dass sie an einer bipolaren Störung litt.

1941 nimmt Woolf sich das Leben. Ihr Abschiedsbrief an ihren Ehemann beginnt mit dem Satz: „Liebster, ich spüre mit Sicherheit, dass ich wieder verrückt werde.“

Ein lesenswertes und noch immer aktuelles Stück Literatur einer außergewöhnlichen Frau.

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