„Die Frau als Mensch“ von Ulli Lust

„Von Anfang an liebten Menschen die Farbe Rot“ Seite 99

„Die Frau als Mensch“ von Ulli Lust ist ein opulent-illustriertes Werk, eine bildgewaltige Offenbarung. 

Auf überaus kunstvolle Weise gräbt sie tief in die Schichten der Menschheitsgeschichte, um das weibliche Prinzip freizulegen – archäologisch, ikonografisch, erzählerisch.

Lust, die mit dokumentarischen Comics wie ihrem Bericht über Halle-Neustadt bereits Maßstäbe setzte, gelingt in diesem neuesten Werk eine kaum kategorisierbare Form: eine Mischung aus Sachcomic, Graphic Novel und bildgewaltigem Nachschlagewerk. Ihre akribische Recherche, die sich über Zehntausende von Jahren erstreckt – von der Venus von Willendorf bis zur Eiszeit mit postmodernen Genderdiskurs – kulminiert in einem „archäologischen Daumenkino“, wie man es bisher wohl nicht gesehen hat.

Dabei ist das Buch alles andere als trockene Wissenschaft. 

Lust entfaltet einen farbenprächtigen Bilderstrom, der Leser:innen mitnimmt auf eine Reise durch Matriarchate, Migrationen und Mythen. Ihre Panels sind kunstvoll komponiert, wechseln zwischen realistischer Rekonstruktion, symbolischem Bildwitz und expressivem Strich. Mal erinnern sie an museale Dioramen, mal an intime Tagebucheinträge – etwa, wenn sie sich selbst zeichnet und ihre eigenen Gedanken ins Bild bringt.

Zentral ist dabei die Wiederentdeckung des weiblichen Körpers – nicht als Objekt männlichen Blicks, sondern als Trägerin von Wissen, Leben und Geschichte. Scham, so führt Lust vor Augen, ist kulturell konstruiert: Während männliche Akte in der Kunst oft stolz und unbedeckt posieren, wird das Weibliche bedeckt, versteckt, verdrängt. Ein Aha-Moment bietet der Kontrast zwischen Michelangelos David und der sich schamhaft duckenden Aphrodite – von Lust klug, fast augenzwinkernd gegeneinandergeschnitten.

Sprache ist nicht neutral, das wird hier mit Wucht deutlich: Das Männliche ist oft sprachliche Norm – und was keinen Namen hat, scheint auch nicht zu existieren. Lust macht sichtbar, benennt und verortet. Dabei ist sie nie belehrend, sondern nüchtern bis humorvoll – ohne je an Tiefe zu verlieren.

So erzählt sie nicht nur von der Degradierung der weiblichen Figur zur „degenerierten Unzucht“, sondern auch von der Blutschrift der Geschichte: Während das Blut des Mannes mit Tod und Jagd verknüpft ist, steht das der Frau – Menstruation, Geburt – für Leben.

Ein Meisterwerk!

Verdientermaßen mit dem Deutschen Sachbuchpreis 2025 ausgezeichnet – und noch lange nicht zu Ende gelesen.

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