Aber wer Böses will … wer wirklich Böses will…, der muss sich ein System ausdenken.“ Seite 150
Willkommen in der niederländischen Provinz, wo die Heide still flackert, Wildschweine wühlen und Pharmakonzerne sich langsam selbst verdauen. Tom Hofland serviert uns mit Nimms nicht persönlich eine Groteske in Reinform: eine feine kleine Höllenfahrt durch die florierende Welt der strukturierten Verantwortungslosigkeit.
Im Zentrum dieser kafkaesken Geisterbahnfahrt steht Lute – Chef der Qualitätssicherung bei Aletta, einem Pharmariesen mitten in der Veluwe. Ein Mann, der irgendwo zwischen „jungenhaft“ und „geschmacksbefreit“ pendelt. Einer, der niemandem wehtun will und gerade deshalb alles kaputtmacht.
Ein klassischer Sympathieträger der Misere: zu nett fürs Schlachtermesser, zu feige, es selbst zu führen – also genau der richtige Mann, um 32 Kolleg*innen in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Und das nicht etwa aus persönlicher Bosheit – nein, Gott bewahre –, sondern, weil Klara, seine Chefin, ihm den Job wie ein nasses Handtuch überwirft. Lute soll der Bote des Betriebsniedergangs sein. Und alle werden ihn dafür hassen. Verständlich.
Doch der wahre Wahnsinn beginnt erst, als Lute betäubt von Schuld und Schnaps in einer Bar Reiner begegnet – einem Fremden, der sein Fahrrad geschrottet hat und offenbar auch sonst keine Grenzen kennt. Ein Gespräch zu viel, ein Schluck zu tief – und plötzlich taucht Lombard auf: ein Personaler aus der Hölle. Wächsern in der Haut, schimmelig auf dem Scheitel, mit einem Sprechduktus wie ein Altphilologe auf Acid. Die Erde rieselt von seinen Schultern, und was er mitbringt, ist ein Angebot: Er übernimmt das Schmutzige. Den Kahlschlag. Die Kündigungen. Nach Protokoll, versteht sich. Sauber, effizient, billig. Und hinterher sollen alle glücklich sein. Sogar Lute.
Hofland konstruiert hier eine Bürowelt, in der Mephisto nicht mit dem Feuer, sondern mit Excel arbeitet. Die Fratze des Bösen ist gut frisiert, eloquent, karrierekompatibel. Der Satz „Aber wer Böses will … der muss sich ein System ausdenken“ (S.150) brennt wie ein Brandsiegel durch die Seiten – und trifft den Kern des Romans: Die eigentliche Monstrosität ist nicht die Tat, sondern ihre mühelose Einpassung in die Maschinerie. Verantwortung wird delokalisiert, Ethik ausgelagert, das Gewissen automatisiert.
Das Ergebnis? Eine Geschichte, die sich wie ein Alptraum von Max Goldt liest, auf Drogen gesetzt und mit einem Schuss Bulgakow versehen. Nimms nicht persönlich ist kein Roman im klassischen Sinne, sondern ein bewusst entgleister Zirkus der Entmenschlichung. Satire, Horror, Bürokratie-Punk – alles in einem.
Wer sich gern auf grotesk überzeichnete Figuren einlässt – auf Lute, den tragischen Wischmopp, auf Lombard, den inkarnierte Kündigungsautomat, und auf die restliche Belegschaft, die kollektiv in die Bedeutungsleere rutscht – wird belohnt mit einem sprachlich dichten, abgründig komischen Alptraum über die Moralphobie des Managements.
Und spätestens wenn der Pudel auftritt – ja, der Pudel –, weiß man: Hier wird nicht mehr nur erzählt, hier wird gestichelt, gebissen und gebranntmarkt.
Fazit: Eine herrlich perfide Bürogroteske, bitter wie Schierling, lustig wie ein Lachkrampf bei der Beerdigung. Nichts für zarte Seelen, sehr wohl aber für Zyniker, Fantasten und all jene, die beim Wort “Restrukturierung” leichtes Jucken im Nacken verspüren.
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Bonuspunkt für das Cover von Maurice Ettlin: Ein Wolf im Schafspelz – passender könnte man den Ronan nicht illustrieren.
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