„Umlaufbahnen“ von Samantha Harvey

„Eine Handbreit von Ihnen entfernt, hinter einer Haut, aus Metall, entfalten sich die schlichten Ewigkeiten des Universums. Seite 7

Der Weltraum … unendliche Weiten. 

Das meint man, wenn man mit Samantha Harvey in den Orbit eintritt.

Und doch ist es gerade die Enge einer Raumstation, die in Harveys Roman den Blick auf das Große, das Ganze und das zutiefst Menschliche lenkt.

Sechs Menschen – vier Astronauten, zwei Kosmonauten – verbringen neun Monate in der Schwerelosigkeit. Sie kommen aus verschiedenen Ländern, sprechen unterschiedliche Sprachen, doch sie teilen einen kleinen, abgeschlossenen Kosmos. Die Erde bleibt dabei stets präsent, als Sehnsuchtsort und als distanzierte Schönheit. Sie ist Zentrum und nichts, Durchschnitt und Wunder zugleich. 

Sie vermissen in dieser Zeit die Natur mit all ihren Facetten – Regen auf der Haut, raschelndes Herbstlaub, der Widerstand des Bodens unter den Füßen – und doch würden sie diesen Anblick unseres Heimatplaneten nicht eintauschen wollen.

„Die Erde erinnerte uns an eine in der Schwärze des Weltraums aufgehängte Christbaumkugel. Mit größerer Entfernung wurde sie immer kleiner. Schließlich schrumpfte sie auf die Größe einer Murmel – der schönsten Murmel, die du dir vorstellen kannst. Dieses schöne, warme, lebende Objekt sah so zerbrechlich, so zart aus, als ob es zerkrümeln würde, wenn man es mit dem Finger anstieße. James Irwing

Harveys Sprache ist poetisch, voller eindrucksvoller Bilder. Sie kreist um existenzielle Fragen: Was bedeutet es, Mensch zu sein? Wie verändert sich das Bewusstsein, wenn man aus dem Orbit auf die Erde blickt? Ist unsere Welt wirklich das Zentrum – oder nur ein winziger Fleck im unendlichen Universum?

Die Raumstation wird dabei nicht zur Stätte heroischer Abenteuer, sondern zu einem Ort der Reflexion. Statt Freiheit gibt es Routine, statt Aufbruch Fremdbestimmung. Die Protagonisten ringen mit der Ambivalenz des Daseins: der Faszination für das Unermessliche und der Enge des Alltags. Ihre Gedanken klingen wie ein Pulsar – rastlos, intensiv, treibend.

Harvey verwebt naturwissenschaftliche Präzision mit philosophischer Tiefe. Die goldene Schallplatte, die als Botschaft der Menschheit ins All geschickt wurde, wird zur Metapher für die Vergänglichkeit und die Sehnsucht, Spuren zu hinterlassen. „In fünf Milliarden Jahren, wenn die Erde lange tot ist, wird es ein Liebeslied sein, das die erloschenen Sonnen überlebt“, heißt es auf Seite 146. Ein Satz, der nachklingt wie ein kosmischer Widerhall.

Obwohl „Umlaufbahnen“ nur etwas über 200 Seiten umfasst, fühlt es sich an wie ein ganzes Kompendium menschlicher Existenz. Harveys Buch ist tiefgründig und von schwebender Schönheit. Eine Lektüre, die den Horizont weitet und das eigene Dasein ins Verhältnis zum Universum setzt.

🐸 Mehr Rezensionen: , ,
Es sind keine Kommentare vorhanden.