„Der ewige Palast“ von Emelie von Drachenfels

„Die Verwandlung vollzog sich leise und türkisch, unbemerkt von denen, die den Alltag zu bewahren versuchten. Doch der Alltag war längst eine Bühne des Absurden, ein Drama, in dem alle Akteure gefangen waren.“ Seite 231

Der ewige Palast ist zweimal so alt wie die Stadt Etherion selbst. Mit seinen mächtigen Mauern und Türmen war er immer ein Bollwerk gegen alle Gefahr. „Solange der ewige Palast steht, ist Etherion nicht verloren“. Seite 385

Etherion ist eine Enklave aus Dampf, Stahl und Blut. Innerhalb ihrer Mauern 

herrscht eine ungeahnte Pracht. 

Sorglose Bürger wandeln im Überfluss. Stattliche Luftschiffe schweben über der Stadt und dampfbetriebene Kutschen transportieren die Bewohner zu ihren prächtigen Häusern. In üppigen Gärten blühen seltene Blumen, es herrscht reger Handel auf den belebten Marktplätzen und fröhlicher Gesang in den Tavernen. Die Bewohner der reicheren Viertel tragen edle Kleidung und ihre dampfbetriebenen Armreifen schaffen eine Aura des Wunderbaren.

Die Beschreibung dieses Elysiums ist magisch. Ein mystischer Ort des idealen Glücks und trotzdem drängt sich eine Verbindung zu Atlantis auf. Jenes versunkenen Inselreichs, das seinen Untergang dem Zorn der Götter durch seine Arroganz und Hybris verdankte und in den Fluten versank.

Wie Platon, so zeichnet auch die Autorin ein Bild einer äußeren Schönheit, die schon den Keim des Verfalls in sich trägt durch Überheblichkeit und Machtmissbrauch.

Die Protagonisten dieser Welt sind so spektakulär und vielschichtig wie diese fantastisch, dystopische Welt selbst. 

Ihre Charaktere sind gut ausgearbeitet. Dadurch gelingt es der Autorin hervorragend, dass der Lesende sich mit den handelnden Figuren identifizieren kann. Ein kleines Manko fiel mir dennoch auf. Die Erläuterung von Status und Funktion der handelnden Personen findet oft sehr spät nach ihrer Einführung statt. Bsp. Viktor

Zu den handelnden Hauptpersonen:

Da ist die schöne Maribel, die mit ihrer Erscheinung Träume wahr werden lässt. Was nicht zuletzt Valerius, ein Wächter und Beschützer Etherions am eigenen Leib erfährt. 

Maribels beste Freundin Elara ist eine Mechanikerin. Schon früh verlor sie durch einen Unfall ihre Gliedmaßen und ist jetzt ein Wesen aus Fleisch und Stahl. Sie ist mutig und vielleicht in der Lage Etherion zu retten, zumal sie die Unterstützung von Viktor hat.

Lord Viktor ist der Erzregent und Vorsitzende des Senats. Er regiert im ewigen Palast.

Aber natürlich gibt es auch einen Widersacher. Es ist der oberste Schildherr Zephyrus, der oberste Wächter und Beschützer der Stadt. Er stellt sich offen gegen Viktor und löst damit eine Todesspirale aus. 

Die Themen dieses 430 Seiten Fantasyromans sind so vielfältig wie hochaktuell.

Es geht um Zuwanderung und Integration von Flüchtlingen, die vor den Toren Etherions auf Einlass hoffen. 

Denn außerhalb der Stadt sind sie dem sicheren Tod geweiht.

Bietet die Aufnahme der Flüchtlinge eher Chancen oder Gefahren? Hier scheiden sich die Geister und die Mitmenschlichkeit der Machthaber Etherions.

„Wer aus einer Kultur kommt, in der Tradition über Innovation steht und religiöse Dogmen das Leben bestimmen, wird sich nur schwer in eine Gesellschaft einfügen, die auf Fortschritt und Integration setzt“. 

Oder es werden philosophische Fragen angeschnitten, wie die Verschmelzung von Mensch und Maschine. Ist dies ein Schritt, der die Evolution voranbringt oder eine Flucht aus der Menschlichkeit? Denken wir hier nicht automatisch an Künstliche Intelligenz?

Auch ein kleiner, feiner Hinweis auf unsere vergangene Geschichte findet sich. Während sich eine Seuche unter der Bevölkerung auszubreiten beginnt und nach einem Heilmittel gesucht wird, fällt dieser Satz:

„Selbst wenn wir ein Heilmittel gegen den Glasflor finden, wird es welche geben, die auch dagegen sind. Sie werden behaupten, dass es schlimmer sei, als der Glasflor“. S. 350

Kommt das bekannt vor?

Mein Fazit:

Die Autorin erschafft eine faszinierende Welt und schmückt diese detailreich aus. Besonders mochte ich die Schilderung der Getränke. Eine Lavendel-Lokomotive ist ein Tee, der mit einer kleinen Lokomotive serviert und warmgehalten wird. Oder der Dampfwirbler, der auf der Zunge wirbelt wie eine nebelverhangene Frühlingsnacht. 

Die psychologische Durchdringung der aufgeworfenen Fragen ist beeindruckend. Leider versteigt sich die Autorin öfter in langatmige Monologe, die an einigen Stellen den Lesefluss behindern und die Protagonisten zu missionarischen Eiferern werden lassen.

Der Schreibstil der Autorin wartet mit einer Fülle von Adjektiven auf. Diese machen die Welt und die phantasievollen Ideen der Autorin verschwenderisch und bunt.

Manchmal geht sie allerdings zu inflationär damit um und überfrachtet damit die Geschichte. Hier könnte weniger mehr sein.

Die Triggerwarnung zu Beginn des Buches ist berechtigt. Spannende Szenen rutschen gern in regelrechte Blutorgien ab. Schmerz und Leid wird sehr plastisch beschrieben und lässt Bilder im Kopf entstehen, die wir von u.a. von Serien wie GOT kennen. 

Die Liebesszene finde ich hocherotisch ohne ein Abrutschen in kitschiges Gefasel.

Alles in allem entwickelt dieses Buch einen starken Sog trotz einiger Längen in den Monologen bzw. deren Wiederholung. Doch die Ideen dahinter sind klug, vermeiden fast immer Allgemeinplätze und haben erschreckend nachvollziehbaren Bezug zum Hier und Jetzt.

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