„Zwei Leben“ von Ewald Arenz

„Nur-dass es für immer sein soll, dass immer nur der Alltag wahr wird, und die Träume werden es nie, das ist schwer auszuhalten.“ Seite 179

Nach einer Schneiderlehre kehrt Roberta in ihr Heimatdorf zurück. Sie ist auf einem Hof in dem kleinen Örtchen Salach aufgewachsen. Die Eltern registrieren ihre Anwesenheit und gehen sofort zur Tagesordnung über.

Von nun an bestimmen die Tiere, das Land und die Jahreszeit wieder den Tagesrhythmus von Roberta. Sie ist es gewohnt anzupacken, sie liebt den Hof und doch hat sie ganz andere Träume.

Das zweite Leben gehört der Mittvierzigerin Gertrud. Sie ist die Frau des Pfarrers und mit diesem aus Hamburg nach Salach gezogen. 

Es sollte nur für fünf Jahre sein, doch es ist ein Viertel ihres Lebens geworden. Die Liebe zu ihrem Mann ist einer Art kameradschaftlicher Freundschaft gewichen. Er sieht hier seinen Auftrag, der gemeinsame Sohn Wilhelm ist im Dorf herangewachsen, doch Gertrud hat hier nie Wurzeln schlagen können. Ihr Wunsch nach Veränderung wird täglich größer. Sie hat Hunger nach einem anderen Leben. Die Gleichförmigkeit und ewigen Wiederholungen hat sie satt. 

Der Autor Ewald Arenz erzählt hier von zwei Leben. Dem der jungen Roberta, die mit dem Land verwurzelt ist und meint die Verantwortung der nächsten Generation tragen zu müssen. Doch gleichzeitig träumt sie von Paris, von der Welt der Mode. Sie will prächtige Kleider entwerfen aus den Farben der sie umgebenden Natur. 

Gertrud dagegen steht in der Mitte ihres Lebens und stellt sich die Frage, ob das nun schon alles gewesen ist. Das kalte Pfarrhaus, die tägliche Dorfroutine in der sie sich keinen Platz gesucht hat und der Mann, der immer unerreichbarer für sie wird.

Zwei Leben – zwei Frauen, beide gebunden an die Pflicht. Beide mit Träumen im Herzen, die ihnen unerfüllbar scheinen. Beide mit Angst im Herzen diesen Schritt in ein anderes Leben zu tun und dabei die Liebsten womöglich zu verletzen.

Das es Veränderungen geben wird, liegt wie ein drohendes Gewitter ab der Buchmitte über dem Lesenden. 

Ich erlebe dieses Buch wie eine Oper in drei Akten. Im ersten Akt wurden die Figuren, der Schauplatz und die zentralen Konflikte eingeführt.

Im zweiten Akt kommt es zu Missverständnissen, Beziehungen entwickeln sich dramatisch und eine Spannung wird erzeugt, die dann im dritten Akt in einem dramatischen Höhepunkt eine Wendung bringt.

Hier unterstützt der Autor die Stimmungen und Emotionen der Akte nicht mit Musik sondern mit einer Sprache, die nur so in Düften und Farben schwelgt. 

Er ordnet diese olfaktorischen Sinneseindrücke den Jahreszeiten zu. Der Duft des Heus im Juni, der Geruch Äpfel im August und der Wallnuss im Herbst. 

So riecht satte, frische Erde, das frisch geschlagene Holz oder die warme Milch und das Land nachdem ein leichter Regen niedergegangen ist.

Er webt einen Klangteppich aus Worten um die Farben des Himmels zu beschreiben in Noten von Gewitter- bis Lavendelblau. 

Hier ist die große Stärke des Buches, hier verschwendet sich der Autor regelrecht an die Schönheit und den Reichtum der Natur und genau damit weiß er nachdrücklich zu beeindrucken. 

Interessant entwickelt sich auch die Beziehung zwischen Roberta und ihrem Großvater, der im Lauf der Geschichte zu ihrem engen Vertrauten wird.

Hier rührt Arenz noch ein weiteres Thema als das der Sinnsuche nach dem Platz im Leben an, denn er fragt, was wir wirklich über die Menschen um uns herum wissen? Wie gut kennen wir sie, die eigene Familie? 

Wissen wir, was sie fühlen, erträumen oder ersehnen? Gab es in ihrem Leben eine beste Zeit, war ihnen die Liebe vergönnt oder haben sie sich nur in die Verhältnisse gefügt? 

Ein gutes Buch, dass vor dem Fall des Vorhangs noch einmal alle Gefühlregister zieht.

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