„Doch auch die Sonne steht still. Aus einem flächigen Himmel richtet sie ihren starren, sengenden Hass auf die Insel, die, soweit man weiß, noch niemand angesteuert hat.“ Seite 11
Die Protagonistin ist Schriftstellerin.
Sie hat ein ganzen Buch gelöscht. Das rote Buch der Abschiede ist nach dreimaligem Tastendruck verschwunden.
Das Buch ist weg und sie wird zeitgleich die Insel verlassen. Beides wird so nicht mehr wiederzufinden sein. Das Buch wird ein anderes Buch der Abschiede und die Insel, egal.
Wir haben das Jahr 1970 – Pirkko die Protagonistin ist stämmig, sie singt viel und schreibt Kurzgeschichten.
Sie studiert Literatur und gerade als sie alles anödet, trifft sie ein Mädchen mit weißem Fleisch und Clownsaugen.
Noch ringt sie um ihre sexuelle Identität, doch Clownsauge ist da ungeniert und möchte mit ihr ins Kino.
1978 ist Clownsauge ihre Geliebte. Ihre Liebe ist kriminell, denn homosexuelle Beziehungen sind im finnischen Strafgesetzbuch verboten. So ist die Kalvankatu (ein Treffpunkt in Helsinki) ihr zu Hause, dass sie immer wieder unauffällig verlassen müssen.
Sie trinkt zu viel und Clownauge schlägt ihr vor, ihr Talent am Theater anzubieten. Sie wird beim Studententheater genommen.
Die neue Welt nimmt sie gefangen. Sie kehrt immer seltener Heim und irgendwann hat Clownauge gepackt. Wieder ein Abschied , denn aus dem Elternhaus ist sie vordem Ekel der Mutter geflogen.
Doch es wird eine neue Liebe geben. Havva, sie bringt sie weiter, scheitert aber letztendlich an ihrem Wunsch nach Anpassung gepaart mit Feigheit, die sie sich nicht verzeiht. Denn Havva geht auf Konfrontation.
„ Sie sticht ihren staksigen Gang in die Erdoberfläche wie eine präzise Singer-Nähmaschine. S.20
Fragmentarisch erinnert sie sich an das Lehrer-Gremium, dass die Fortschritte in ihrem Studium bewerten soll, sich aber auf ihre lesbische Beziehung mit Havva stürzt. Sie wird aufgefordert die Beziehung zu beenden.
Begründet wird dies von den Lehrkräften damit, dass ihr die weibliche Identität fehle und damit die Glaubwürdigkeit der revolutionären Bewegung. Die älteren Genossen sorgen sich. Immer diese grauen Nonames, die nicht fassbar aber allgegenwärtig sind.
Sie und Havva werden trotzdem noch 7 Jahre zusammenleben, erst mit einer Katze, dann mit einem Kind, das sie entzweit.
Die Erzählung erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte und beleuchtet die turbulenten 1970er Jahre in Finnland, eine Zeit des gesellschaftlichen Wandels und politischer Unruhen. Saisios Protagonistin, die als Alter Ego der Autorin fungiert, navigiert durch das komplexe Geflecht aus persönlichen Beziehungen, politischem Engagement und dem Streben nach individueller Freiheit.
Saisios Schreibstil ist kraftvoll und poetisch, ihre Beschreibungen sind lebendig und emotional aufgeladen. Jeder Satz ein Bild, das ich festhalten, das ich umarmen möchte, um es nie wieder loszulassen. Schon nach den ersten zwanzig Seiten, großes blogbustergewaltiges Kino. Mein Superlativ!
Sie schafft es, die innere Zerrissenheit und die Herausforderungen, denen sich Homosexuelle in einer konservativen Gesellschaft gegenübersehen, eindrucksvoll darzustellen. Gleichzeitig bietet das Buch einen faszinierenden Einblick in die revolutionäre Stimmung jener Zeit und die damit verbundenen Hoffnungen und Enttäuschungen.
„Das rote Buch der Abschiede“ ist ein mutiges und bewegendes Werk, das sowohl die persönliche als auch die politische Dimension des Kampfes um Akzeptanz und Gleichberechtigung eindrucksvoll einfängt. Pirkko Saisio gelingt es, eine Geschichte zu erzählen, die gleichzeitig intim und universell ist.
Sicher nicht leicht zu lesen durch den fragmentarischen Schreibstil, der in kurzen Sprüngen Jahre und Begegnungen überspringt. Hier etwas andeutet und Seiten später darauf zurückkommt. Doch das macht auch die Faszination an diesem Roman aus und ganz ehrlich, ich wollte keinen dieser unfassbar schönen Sätze verpasst haben.
Dieses Buch bildet den Abschluss ihrer autofiktionalen Triologie
Großartig übersetzt von Elina Kritzokat aus Berlin.