„Die Klassenkameradin“ von Martina Berscheid“

„Warum schleppte man eigentlich das Bild von jemandem mit sich herum, den man jeden Tag sieht?“ Seite 60

Wie ist das mit den Kindern, dem Muttersein? Erst stürmen sie in Dein Leben gewollt oder nicht spielt eher eine nebensächliche Rolle, denn sie besetzen es. Ja, Baby‘s sind Lebensbesetzer.

Plötzlich existiert Deine Welt nicht mehr. Alles was Du vorher mochtest, fällt der Müdigkeit zum Opfer, denn dieses kleine Wesen erzeugt eine Schlaflosigkeit, die einen somnambulenhaft durchs Leben schiebt.

Aber Frau richtet sich ein. Baby wächst und plötzlich ist es groß und verlässt das heimische Nest ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Es hinterlässt Leere oder wie die Autorin es so treffend formuliert „Tage voller Gelee, einer dickflüssiger als der andere“.

Kleiner Einwurf- so waren wir auch.

So treffen wir Eva an. Sie ist um die 40 starrt auf ihren zerkratzten Küchentisch, Tochter Charly ist ausgezogen und an ihr hängt die Alltagsroutine wie ein 100 kg Sack.

Sack ist ein gutes Stichwort, denn der Gatte hat sich zum kontrollsüchtigen Couchpotato entwickelt und jedes seiner Worte entfacht ein kleines Wutfeuer in Evas Bauch.

„Am liebsten würde sie sagen: Verschwinde endlich ins Haus und glotz nicht so blöd.“ Seite 85

Frei sein kann sie nur beim Joggen mit dröhnender Metalmusik in den Ohren. Da flattert ihr die Einladung zu einem Klassentreffen ins Haus und sie beschließt hinzugehen.

Hier begegnet ihr Agnes. Gut gekannt hatten sie sich eigentlich nicht aber der Abend führt sie zusammen und Eva ist ganz bezaubert von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins, die die Klassenkameradin ausstrahlt.

Sie lässt sich wie Abflusswasser in den Orkus aus Worten, Partys, Champagner und gutem Essen in diese neuen Welt spülen und entdeckt ihre Lebenslust wieder.

Martina Berscheid weiß wovon sie schreibt. Die Zeichnung ihrer Charaktere ist dicht am Leben und so lebt man mit ihnen mit.

Ok, ein Geständnis!

Ich mochte Eva nicht. Sie war mir einfach zu lethargisch und hat die negative Energie gegen den Gatten gerichtet statt mit dieser Kraft etwas anderes zu tun. Sicher, mit 19 schwanger zu werden, lässt schon einige Lebensziele platzen aber in einem Nest zu hocken und in all den Jahren noch nicht mal den Führerschein zu machen. What? Jetzt mag das ja hipp sein und gut für die Umwelt aber nee…. Abhängigkeit pur- bequem so?

Da ist Agnès schon ein anderes Kaliber. Vielleicht ein wenig zu versoffen für meinen Geschmack aber durchaus eine Powerfrau, die mit ähnlichen Startchancen ein anderes Leben anvisiert hat. Sicher extrem aber diese Überhöhung tut dem Buch gut und ich mag einfach Frauen mit Pfeffer im Po.

Natürlich gibt es einen Twist und natürlich wird der nicht verraten.

Trotzdem liebe Martina ist deine Teufelin mir lieber als das Engelchen

-play with the bad girls-.

Die Rollenbilder sind vielleicht etwas zu schwarz/weiß gezeichnet und leider stolperte ich auch über einige Allgemeinplätze mit sichtbar erhobenem Zeigefinger. Aber da diese eher die Ausnahme waren und ansonsten hier eine gute Geschichte erzählt wurde, überwog die Freude an der Unterhaltung deutlich.

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