„Das Jahr ohne Sommer“ von Constanze Neumann

„Als ich klein war, lebte ich in einem Land, dass es nicht mehr gibt. Es war grau und vertraut.“

Seite 7

Eigentlich hatte Constanze Neumann mich mit ihren ersten Sätzen: „Als ich klein war, lebte ich in einem Land, dass es nicht mehr gibt. Es war grau und vertraut.“

Wie bei einer Kontaktanzeige war ich sofort interessiert. Eine autobiografische Wendegeschichte, die von der Traumatisierung einer ganzen Familie durch das politische System der DDR handelt, ist genau der Lesestoff, der mich anspricht.

Ganz ohne Pathos berichtet die jetzt 51-jährige aus ihrem Leben. Und da komme ich auf die Kontaktanzeige zurück. Schreibt darin jemand, er/sie hat Sinn für Humor, dann fehlt dieser zumeist gänzlich, denn wenn auf Selbstverständlichkeiten hingewiesen werden muss, geht er/sie vermutlich zum Lachen in den Keller.

Bei Neumann heißt es wohl übersetzt, ich schreibe eine Art Autobiografie ohne Empathie.

Hallo, hier werden Gefühle, Verletzungen und echte Umbrüche zum Thema gemacht und fischkalt serviert.

Mir blieb das Buch wie eine Gräte im Halse stecken.

Weshalb verfasse ich mit angezogener Handbremse etwas so Persönliches? Um zu sagen, seht her, ich habe allerhand mitgemacht?

Alle Charaktere, mit Ausnahme der Oma in Leipzig werden immer wieder kurz ins Licht gezerrt und verschwinden dann wieder in der Dunkelheit. Die Zerbrochenheit der Mutter bleibt hinter Glas. Die spannende Wandlung des Vaters vom Ossi zum Wessi mit all seinen patriarchalen Launen wird nur behutsam gestreichelt. Die Wut über ihn, besonders in ihrer Pubertät hätte mir wie Türenknallen in den Ohren klingeln müssen.

Leute, wenn ich es nicht erlebt hätte, würde ich vermutlich zahmer sein und mich dem Grundtenor der positiven Rezensionen anschließen.

Aber mich hat es echt gerissen, denn dieses Thema ficht mich emotional noch immer an.

Dann kommt die Wende 1989. Dramaturgisch in diesem Buch eigentlich das Highlight. Doch es verkommt als Randnotiz zwischen einem Amerikaaufenthalt und einer Romanze. Ok, es ist ihr Leben aber wohin wollte sie dann mit diesem Buch?

Der einzige Lichtblick für mich war ihr erster Sommer in Italien. Hier kommt plötzlich das Licht und die Wärme durch die Zeilen. Der heiße Sand, die Lebensfreude miteinander und aneinander sind fassbar. Die Lungen dehnen sich, die so schwer erworbene Freiheit wird mit Dolce Vita gefüllt. Endlich, dachte ich.

Doch dieses als Liebeserklärung an die Familie angepriesene Buch beginnt und endet eigentlich für mich mit dieser Szene.

Auch für sich selbst tut die Autorin nichts. Ok, sie war drei Jahre alt als die Flucht missglückte und die Eltern in den sozialistischen Knast wanderten. Sie musste für kurze Zeit ins Heim. Das prägt und hin und wieder erwähnt sie diese, ihre Angst. Aber der Tiger bleibt sozusagen im Käfig. Zu persönlich wollte die Autorin dann nun doch nicht werden, dachte ich.

So überraschte mich Seelenstriptease am Ende wie ein aufgeplatzter Apendix.

Wirklich schade, dass der Knoten nicht eher geplatzt ist. Sie hätte etwas zu erzählen gehabt.

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