„Die Mode war seine Bestimmung“ Seite 26
In der Graphic Novel Lagerfeld gelingt Alfons Kaiser und dem Zeichner Simon Schwartz ein Kunststück: Sie verwandeln den schillernden Mythos Karl Lagerfelds in eine erzählerische Choreografie aus Text und Bild, ohne ihm dabei seine Rätselhaftigkeit zu nehmen. Was auf den ersten Blick wie eine klassische Biografie erscheint, entpuppt sich als vielschichtige Collage – pointiert, bildstark und voller feiner Zwischentöne.
Es beginnt mit einem Abschied. Während Karl Lagerfelds letzter Wille – eine anonyme Bestattung – diskret erfüllt wird, inszeniert sich der Modezirkus im Grand Palais ein letztes Mal in barocker Pracht. Lagerfeld hätte es gehasst. Oder er hätte es perfekt gefunden – wer weiß das schon bei einem Mann, der sich selbst, zum Kunstobjekt stilisierte.
Kaisers Texte sind klug verdichtet, nie bloße Chronik, sondern vielmehr eine durchdachte Auswahl biografischer Brennpunkte. Simon Schwartz begleitet diese Passagen mit einem Strich, der gleichermaßen karikierend wie empathisch ist. Er karikiert nicht, um zu entlarven, sondern um zu zeigen: das Übermaß, die Maskerade, das Exzentrische als Teil einer hochsensiblen Selbstinszenierung. Lagerfeld wird hier nicht verklärt – aber auch nicht verraten.
Besonders beeindruckend ist die formale Raffinesse, mit der Bild und Text sich gegenseitig ergänzen. Die Zeichnungen verzichten nicht auf modischen Glamour, dadurch gelingt es Schwartz, dem Ästheten Lagerfeld ein würdiges grafisches Denkmal zu setzen. Es ist ein Spiel mit Licht und Schatten, mit Pose und Privatem – und immer wieder mit der Frage: Wer war dieser Mann hinter der Sonnenbrille?
Wir begegnen dem Jungen, der früh spürt, dass er anders ist – homosexuell, empfindsam, stilbewusst. Eine Mischung aus Ausgrenzung und früh erwachtem Ehrgeiz prägt sein Denken. Die Dior-Schau 1949 wird zum Schlüsselmoment: „Die Mode war seine Bestimmung“, heißt es auf Seite 26 – eine Erkenntnis, die das Buch atmosphärisch dicht begleitet.
Von Balmain über Patou bis Chanel: Lagerfelds Aufstieg ist so konsequent wie kühl. Seine enge, komplizierte Freundschaft mit Yves Saint Laurent, seine Liebe zu Jacques de Bascher, die Affäre, die zur Zerreißprobe wird – alles ist da, oft angedeutet, essenziell, stets auf den Punkt. Die Farbgebung unterstützt mit: Rot für Leidenschaft und Zorn, Schwarz für Tod und Verlust. Besonders die Szenen der 70er-Jahre wirken wie Momentaufnahmen aus einem LSD-Rausch aus Schönheit und Selbstinszenierung.
Dass Lagerfeld sich selbst zur Marke machte – weiß gepudertes Haar hatte, Sonnenbrille, Stehkragen – zeigt die Graphic Novel ebenso wie seinen Hang zur Kontrolle. Er glaubte ans Wahrsagen, verließ sich auf seinen Geschmack, kämpfte gegen Trauer mit Essanfällen, später mit exzessiver Diät, bildstark eingefangen auf Seite 80/81. Lagerfeld war eben auch das: widersprüchlich.
Diese Graphic Novel ist nicht nur ein Porträt einer Modeikone, sondern auch ein Kommentar zur Konstruktion von Identität.
Sie ist ein bildhaftes, analytisches, stilistisch souveränes Porträt – in Schwarz, Weiß, Bunt– mit genau der Distanz, die Lagerfeld selbst bevorzugt hätte.
[…] „Dieser Band ist keine späte Gedenkplatte, sondern ein Monsterbrillant aus dem Tiefsee‐Schatz der deutschsprachigen Literatur: 15 Geschichten, die zeigen,…