„Die vorletzte Frau“ von Katja Oskamp

Die Erinnerung ist eine zärtliche Schlampe. Sie trickst herum und entzieht sich, überfällt hinterrücks und liebkost so plötzlich, dass ich ihr kein Wort mehr glaube.“ Seite 149

Die Ich-Erzählerin, ist immer die vorletzte Frau. Es gibt ein nach ihr, dass wird ihr in der Nachschau auf zwei Männer und eine Lebensliebe bewusst.

Da ist Karl, von dem nicht groß die Rede ist und der Generalmusikdirektor kurz GMD mit dem Sie ein Kind zeugt. 

Doch hauptsächlich ist da Tosch. Er der langsame, charismatische Schweizer Schriftsteller und sie die eher unterwürfige Ossi-Mieze.

Als sie ihn kennenlernt ist sie 30 und er 49 Jahre alt.

„Er war fünfzig; die Ersatzteilphase hatte begonnen.“ Seite 19

Ihre Liebe besetzt sie komplett.

Sex und Text, die Beschreibung einer körperlichen und geistigen Verbundenheit bis hin zur Abhängigkeit. Spannend gelebt ohne Alltag bis in den Morgen hinein. Befruchtend im wahrsten Sinne für beide.

Die Beziehung funktioniert von Beginn an nur nach seinen Regeln. 

Er nimmt sich alle Freiheiten, wohingegen sie sich nur im engen Korsett ihrer Mutterpflichten, des Studiums und später ihrer Arbeitswelt bewegen kann. 

Doch obwohl sie begreift, dass sie selbst an einer gewissen Erniedrigung Gefallen findet, gibt  sie Ihre Selbständigkeit nicht auf. Ein Bild zeigt dies deutlich. Sie will einen eigenen Koffer als Tosch vor einer Reise ihre Sachen in seinen räumen will.

„Merke: Jeder Mensch braucht seinen eigenen Koffer. Dann kriegt er womöglich einen Rosenstrauß.“ Seite 43 

Und nicht nur den bekommt sie. Tosch ist quasi die Zugabe zu den Blumen und bleibt 19 Jahre an ihrer Seite. 

Die Schriftstellerin Katja Oskamp springt in ihrem Roman in kurzen Kapiteln von Thema zu Thema.

Hier die Zähne von Tosch, da ihre körperliche Lust und zuvor das Vatersein des GMD. 

Doch trotz der Sprünge bleibt der rote Faden, der alles chronologisch miteinander verbindet. 

Es ist wie bei einem Plausch mit einer guten, alten Freundin, der man nicht mehr die volle Geschichte erzählen muss, die zwischen den Zeilen die tiefen Töne findet.

Doch anders als in Gesprächen mit einem Vertrauten schildert Oskamp die  Befindlichkeiten Ihrer Protagonistin eher aus einer gewissen Distanz heraus. Wie ein Zuschauer der nur zuschaut, nicht wirklich beteiligt ist und dann den Hergang analysiert.

Dadurch rührt sie nicht an sondern hält den Lesenden emotional fern und verbannt ihn damit ebenfalls auf die Zuschauerbank.

Eine Ausnahme bildet hier die Beziehung zu ihrer Tochter Paula. Da muss sie die Rollen wechseln von der Versorgerin zur Versorgten angepasst an das Lebensalter des Kindes. Hier ist sie emotional, hier kommt sie sich und dem Lesenden nah.

Wie kleine Puzzleteile, die nicht weit voneinander liegen, klaubt man Absatz für Absatz zu einem 3D-Bild zusammen. Desto mehr Teile man hat, desto mehrdimensionaler, plastischer wird der Eindruck.

Das Buch fordert heraus. Erzeugt Widerspruch und Zustimmung. Definiert altes Rollenverhalten und erzeugt Unverständnis. Dann nötigt es wieder Respekt ab vor der Stärke dieser Frau, die stets die Kraft für neue Wege findet.

Am Schluss steht eine Frage, die vielleicht uns alle bewegt. Müssen wir bestimmte Dinge im Leben aufgeben um uns nicht aufzugeben und unser Leben zu leben?

Klare Leseempfehlung von meiner Seite. 

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