„Love Me Like It‘s Yesterday“ von Juliane Käppler

„ Ich habe beschlossen, ausschließlich in der Realität statt zu finden“, antworte ich.“ Seite 92

„Womöglitzen

Eine Handlung, mit der die Möglichkeit für das Eintreten einer unter Umständen wünschenswerten Situation aktiv zu einer Wahrscheinlichkeit gemacht wird.“ 

Seite 153

Juno ist 36, Single und lebt in Leipzig. Sie restauriert als Tischlerin mit Leidenschaft alte Möbel. Diese Leidenschaft macht Juno zu einem Antikmöbel-Suchti, der unter akutem Restaurismus leidet und ständig etwas staubig durch die Gegend läuft.

Alle Möbel, die ihre Werkstatt betreten, erhalten liebevolle Namen und damit eine Seele, die aus mehr als nur Holz, Lack und Scharnieren besteht.

Doch neben ihrer Liebe zu alten Möbeln gibt es auch eine gnadenlose Ablehnung gegenüber allen technischen Kommunikationsmöglichkeiten unserer Zeit.

Juno besitzt weder ein Handy noch Tablett oder Computer. Sie surft nicht durchs Internet oder twittert, googelt und swipt .

Dafür legt sie Tapes in einen CD-Recorder und lässt sich bei ihrer Arbeit in die Achtziger mit a-ha und Cindy Lauper katapultieren.

Die Ablehnung der digitalen Welt rührt von einer schlechten Erfahrung, die sie machen musste und nach der Juno sich entschloss anderen Mobbingopfern zu helfen.

Mit ihrer Freundin Miriam gründete sie den Verein „NeMo“, eine Selbsthilfegruppe – für Betroffene.

Auf der anderen Seite haben wir Taro. Er ist seit 6 Jahren erfolgreicher YouTuber mit seinem Datingkanal „Make Her Yours“ .

Dort gibt er Männern mit Startschwierigkeiten Tipps, wie sie erfolgreich bei einer Frau landen können. Das allerdings betreibt er als Psychologe ethisch korrekt, ohne es am Respekt vor Frauen fehlen zu lassen. 

Er ist ein Hipster, schlank, gepflegt mit grünen leicht gebogenen Augen, was an seinen japanischen Wurzeln liegt.

Doch plötzlich wird aus dem erfolgreichen Makro-Influencer Taro ein Micro-Influencer mit der Tendenz in der Bedeutungslosigkeit des Netzes zu verschwinden, denn massenweise wandern seine Follower ab.

Die Konkurrenz „Flirt for One“ und der Follower „Red Mask“ provozieren Taro öffentlich. Er soll seine Ratschläge selbst an einer Frau auszuprobieren. Sensationslust macht sich unter seinen Followern breit.

Obwohl Taro erkennt, dass er hier vom seriösen Dating Coach zu einer Art Pick-up Artist gemacht werden soll, wirft er seine Bedenken über den Haufen. Denn mit den Follower wandern auch die Sponsoren und damit sein Einkommen ab. Also lässt er sich auf den Deal ein.

Das weibliche Objekt wird von RedMask gefunden und so taucht der smarte Taro eines Tages in Begleitung eines Apothekerschrank in Junos Werkstatt auf und lässt seine grünen Augen funkeln. 

Ob es ihm gelingt die spröde Juno für sich und seine Challenge zu instrumentalisieren möchte ich nicht verraten.

Eng verwoben mit der Liebesgeschichte von Juno und Taro, die tatsächlich etwas schwungvoller hätte erzählt werden können, ist unser Umgang mit den digitalen Medien.

Als Kind der 70/80-er gehöre  ich der letzten handyfreien Generation an. 

Ich konnte mich damals noch ohne technische Unterstützung verabreden. Und aus der Distanz besehen, funktionierte das besser als heute.

Ich hatte noch nicht ständig Spotify im Ohr, sondern einen Kasettenrecorder und legte wie Juno meine Lieblingstaps ein. 

Mit ihren katapultiert mich Juno zurück in meine Jugend. Was für ein schönes Gefühl.

Wie abhängig wir von den Sozialen Medien sind, zeigt Frau Käppler deutlich an vielen Beispielen. So erfährt man eben nichts, wenn man nicht in der WhatsApp-Gruppe der Schule oder des Kindergartens ist, man verliert den Anschluss an Freundinnengruppen und an die neusten Trends etc. 

Ist unser gesamtes Sein derzeit auf der Jagd nach Followern, ein Leben als Lifestream, welches durch die Handykamera stattfindet? Man teilt sein Essen, seine Klamotten, Bad-Hairdays, Pickel und Urlaubsspots.

Hat uns die digitale Welt im Griff? Muss tatsächlich alles abgefilmt und kommentiert werden. Müssen wir alles stehen und liegen lassen, sobald mit einem Pling eine Nachricht eingeht? Um dann nervös und unter Zugzwang zumindest ein Emoji als Antwort schicken?

Wo führt das hin? 

  „Die virtuelle Welt hat sich mit der Realität verhoben wie eine Mistel mit den Zweigen eines Baums.“ Seite 390

Führen wir mittlerweile ein Leben in zwei Welten, der analogen und digitalen? 

Das eine ist die Welt der Bytes, Klicks und Likes, und das andere ist die letzte Wärme der Abendsonne, das Leuchten von Glühwürmchen in der Dunkelheit und der Geschmack eines Kusses.

Doch die Grenzen sind fließend und die Identitäten verschwimmen immer mehr ineinander. Denn alles kann thematisiert werden um nach Likes und Kommentaren zu hecheln. 

Dabei sinken die Hemmschwellen der Tastenkrieger und Trolle, die sich hinter ihrer Anonymität verstecken und nur auf der Suche nach schnellem Amüsement, Sensationen…… und belanglosem Konsum sind.

Sie beschädigen andere grundlos. Treten Shitstürme los, verbreiten Fake News ……der moderne Pranger. 

Zur Beantwortung, welchen Stellenwert die digitale Welt für uns hat, fällt mir ein Spruch von Marcel Reich-Ranicki, der damals über die Rolle des Fernsehens befragt wurde, ein.

Er sagte: „Das Fernsehen macht die Klugen klüger und die Dummen dümmer.“ Dem stimme ich gern auch für den Bereich der digitalen Welt und der KI-Nutzung zu.

Mein Fazit:

Auch wenn der Plott der Lovestory nach dem guten alten Rezept gestrickt ist, ist er doch gut erzählt und besticht durch die liebevolle Ausgestaltung aller Charaktere. Alle Schlüsselszenen werden dramaturgisch gut vorbereitet und nie trivial verbrämt umgesetzt.

Das Happyend wartet sogar mit einem rasanten Showdown auf. 

Ich empfehle gern dieses 500-Seiten starke Buch, denn es hat eine Geschichte zu erzählen, die uns wohlfühlen aber auch nachdenken lässt.

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